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Wissenschaft in der Filterblase

Gesellschaft|Psychologie

Wissenschaft in der Filterblase
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Die politische Ansicht beeinflusst auch, welche Wissenschaftsbücher ein Mensch liest (Grafik: Vladgrin/ iStock)
Der berüchtigte Effekt der Echokammer und Filterblase betrifft offenbar auch die Auswahl von Wissenschafts-Büchern. Forscher haben anhand von Online-Buchkäufen untersucht, wie selektiv sich politisch unterschiedlich gesinnte Menschen über wissenschaftliche Themen informieren – und dabei deutliche Unterschiede festgestellt. Deutlich liberal und klar konservativ Gesinnte interessieren sich demnach nicht nur grundsätzlich für ganz andere Disziplinen innerhalb der Wissenschaft. Sie lesen auch zu denselben Themen selten die gleichen Bücher.

Egal ob Klimawandel, Evolutionstheorie oder Impfungen: Viele Themen aus der Wissenschaft werden in unserer Gesellschaft kontrovers diskutiert, obwohl die Fakten eigentlich nur eine Interpretation zulassen. Regelmäßig enden Konfrontationen zwischen Befürwortern und Skeptikern deshalb in hitzigen Debatten – und jeder glaubt, im Recht zu sein. Das Problem: Oft sind die Streithähne in ihrem Alltag völlig unterschiedlichen Informationen ausgesetzt. So sorgen etwa die ausgeklügelten Algorithmen in sozialen Netzwerken wie Facebook dazu, dass Nutzern vor allem Beiträge und Nachrichten angezeigt werden, die ihren persönlichen Vorlieben entsprechen. Dieser Effekt der Filterblase oder Echokammer verstärkt die persönlichen Meinungen und Vorurteile noch und wirkt einer objektiven Sicht auf die Dinge entgegen.

Politikwissenschaftlern macht dies zunehmend Sorgen. Denn wenn Menschen nur mit jenem Spektrum an Informationen konfrontiert werden, das ihren eigenen politischen Überzeugungen entspricht, sinkt naturgemäß das Verständnis für die andere Seite. Kurzum: Für Anhänger gegnerischer Parteien wird es immer schwieriger, zu einem Übereinkommen zu finden. Wie selektiv sich politisch unterschiedlich gesinnte Menschen über wissenschaftliche Themen informieren, hat nun ein Forscherteam um James Evans von der Cornell University in Ithaca untersucht. Dafür werteten die Wissenschaftler Millionen von Buchkäufen bei den beiden großen Online-Händlern Amazon und Barnes and Nobles aus. Sie wollten wissen: Welche politischen Bücher werden gemeinsam mit welchen wissenschaftlichen Titeln erworben? Und lassen sich dabei bestimmte Muster erkennen?

Unterschiede beim Buchkauf

Konkret klassifizierte das Team zunächst 3.530 Politik-Bücher als entweder „konservativ“ oder „liberal“ und ordnete 428.433 Wissenschafts-Bücher unterschiedlichen Kategorien zu. Anschließend schauten sich die Forscher die Verbindungen zwischen diesen Titeln an: Würde sich bei den Buchkäufen eine Filterblase offenbaren? Tatsächlich zeigte die Auswertung deutliche Unterschiede: Wer Bücher mit einer klaren konservativen, politischen Ausrichtung kauft, scheint sich demnach zum einen generell für andere Disziplinen der Wissenschaft zu interessieren als liberal Gesinnte. So lesen Konservative vor allem Bücher aus angewandten Wissenschaften wie organische Chemie, Medizin oder Recht. Liberale hingegen wenden sich bevorzugt Grundlagenwissenschaften zu – zum Beispiel Zoologie, Astronomie oder Anthropologie. Zum anderen fanden die Forscher heraus: Selbst wenn sich konservativ und liberal eingestellte Menschen einmal den gleichen Themengebieten widmen, lesen sie selten dieselben Bücher dazu. Insbesondere bei den Konservativen bewegen sich die Käufe innerhalb einer Disziplin in einem sehr schmalen Spektrum, wie das Team berichtet. Bei den Liberalen hingegen fallen die Kaufentscheidungen vielfältiger aus.

Zwar ist die Studie der Forscher nicht repräsentativ und schließt all jene Menschen aus, die ihre Bücher nicht im Internet kaufen. Trotzdem verdeutlichen die Ergebnisse, dass die politische Linke und die politische Rechte mitunter mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen in Diskussionen gehen: „Sie teilen zwar ihr Interesse für die Wissenschaft im Allgemeinen, aber nicht im Speziellen“, schreiben Evans und seine Kollegen. Toby Bolsen von der Georgia State University in Atlanta, der nicht an der Studie beteiligt war, kommentiert: „Die beobachteten Verhaltensmuster bestätigen die verbreitete Befürchtung, dass es durch die Auswahl unterschiedlicher Quellen zur politischen und wissenschaftlichen Meinungsbildung zu Echokammern kommen kann.“ Gerade weil Erkenntnisse aus der Wissenschaft jedoch oftmals die Grundlage für politische Debatten und Entscheidungen darstellten, müssten in Zukunft Wege gefunden werden, der selektiven Wahrnehmung von Informationen auch in diesem Bereich entgegenzuwirken. Nur, wer nicht nur die „angenehmen Wahrheiten“ kenne, könne sich ein objektives Bild von der Welt machen, schließt Evans Team.

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Quelle:

© wissenschaft.de – Daniela Albat
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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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