Wissenschaftler sprechen von der Übertreibung des Jahrhunderts, wenn es um das berühmte Zitat des Amerikaners James Watson und des Briten Francis Crick geht, mit dem sie 1953 ihre bahnbrechende Arbeit über die Doppelhelix aus DNA beschließen: „Es ist unserer Aufmerksamkeit nicht entgangen.“
So beginnt der Satz, der dann damit fortfährt, dass die vorgelegte Struktur eindeutig erkennen lässt, wie sich das Erbmaterial vermehren kann. Die Doppelhelix mit ihren zwei Strängen mache deutlich, wie aus einen Molekül zwei werden können – wie das Urphänomen des Lebens, die Teilung in zwei, gelingt. Man kann die Doppelhelix deshalb mit Goethes Urpflanze vergleichen. Sie führte dem Dichter vor Augen, wie das Leben wächst und sich verdoppelt.
Schwierige Materie verstanden, Details vertagt
Der Witz an dem Satz von Watson und Crick besteht darin, dass die beiden wahrscheinlich intuitiv verstanden hatten, dass der Mechanismus der Verdopplung ungeheuer vertrackt sein muss. Bis heute hat ihn keiner ganz verstanden. Aber das Duo hat der Welt mitgeteilt, dass sie zumindest genau erkannt haben, wie es geht. Die mühsamen Details überlassen sie großzügig anderen.
In diesen Tagen tauchte jener Satz erneut auf – aber in einer anderen Disziplin, der Quantenoptik. Es geht um einen erstaunlichen Fortschritt: Man kann nun mit Lichtstrahlen arbeiten, die verschränkt sind. Das klingt einfach, meint aber, dass es Lichtstrahlen an verschiedenen Orten geben kann, die sich gegenseitig beeinflussen, ohne dass dabei Zeit vergeht. Sie sind getrennt und zusammen zugleich. Die Quantenphysik macht es möglich, dass sich einer von zwei verschränkten Lichtstrahlen auf ein Hindernis lenken lässt und der zweite Strahl dies registriert, auch wenn er weit weg ist. Anders ausgedrückt: Man fotografiert ein Objekt mit einem Licht, das den Gegenstand nie getroffen hat.
Kniffliges Urphänomen
„Die Gesetze der Optik stehen Kopf“, so schrieben die Zeitungen über die Experimente, die in Wien unter der Leitung von Anton Zeilinger durchgeführt wurden. Der Quantenphysiker schloss seinen wissenschaftlichen Bericht dazu ( Nature, 28.8.14, S. 411) mit den Worten ab, die wir schon kennen: „Es ist unserer Aufmerksamkeit nicht entgangen“, wie er schreibt, dass die vorgestellte Methode und die besondere Eigenschaft des Lichts Forscher in die Lage versetzen, Informationen über den Quantenzustand eines bekannten Gegenstandes zu erlangen – „without detecting it“. Also ohne ihn zu erfassen.
Natürlich ist es knifflig sein, das im Detail durchzuführen – immerhin wird behauptet, dass man den Zustand eines Gegenstandes kennt, von dem man weit entfernt ist. Dieses Problem kennen wir aus dem Alltag: Brennt das Licht im Kühlschrank noch, wenn die Türe zu ist? Doch unabhängig von dieser technischen Herausforderung geht es hier erneut um ein Urphänomen. In der Biologie war es die Teilung in zwei, und in der Physik ist es umgekehrt das Erscheinen einer Eins. Der Gegenstand und ich sind nicht mehr getrennt. Ich bin mit ihm verschränkt, wir bilden zusammen ein neues Atom. Das alte Atom hat sich als teilbar erwiesen. Das neue Atom aus Welt und Ich stehen vor uns. Wir gehören alle dazu. Das sollte unserer Aufmerksamkeit nicht entgehen.
Ernst Peter Fischer
ist Physiker, Biologe und habilitierter Wissenschaftshistoriker. Er hat mehr als 50 Bücher geschrieben – neben Biographien und Firmengeschichten über Themen, die von Atomphysik bis zu Hirnforschung reichen. „Die andere Bildung“ hat eine Auflage von mehr als 100.000 erreicht und ist in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. 2014 erscheint sein Buch „Die Verzauberung der Welt“. Darin beschreibt Fischer, wie und warum naturwissenschaftliche Erklärungen die Geheimnisse der Natur nicht aufheben, sondern erst vertiefen.