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Moral im Alltag

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Moral im Alltag
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Gut oder böse? Welche Rolle spielt Moral in unserem Alltag? (thinkstock)
Welche Rolle spielt die Moral in unserem Alltag? Verhalten wir uns zuhause, bei der Arbeit oder auf der Straße sozial und tun eher „Gutes“ oder bleibt das moralische Handeln auf der Strecke? Dieser Frage ist ein internationales Forscherteam nun mit Hilfe moderner Telekommunikation nachgegangen: Sie nutzten die Handys ihrer Probanden, um deren alltägliches Moralverhalten zu erkunden. Dabei zeigten sich gleich mehrere interessante Effekte: So spielt Religion so gut wie keine Rolle dafür, wie moralisch jemand handelt, die politische Einstellung jedoch schon. Außerdem neigen wir dazu, uns selbst zu belohnen: Haben wir schon morgens eine gute Tat vollbracht, lassen wir uns im Rest des Tages auch mal eine kleine „Sünde“ durchgehen.

Theoretisch weiß jeder von uns ungefähr, welches Verhalten moralisch eher verwerflich oder aber akzeptabel ist. Lügen, anderen schaden, sie unfair zu behandeln oder zu unterdrücken ist nach gängigem Moralkodex eher „böse“, seinen Mitmenschen selbstlos zu helfen oder ihnen ehrlich und loyal gegenüber zu handeln, gilt als „gut“. Ob wir Menschen uns in bestimmten Situationen moralisch verhalten, wie sich die Moralvorstellungen zwischen Gruppen, Kulturen oder Einzelpersonen unterscheiden und wie sich Moral entwickelt, wird von Psychologen seit Jahrzehnten intensiv untersucht – allerdings bisher fast nur in gestellten Situationen, mittels Fragebögen und in einer Laborumgebung. „So wichtig diese Ansätze sind, sie alle sind durch die Künstlichkeit der Umgebung oder Situation eingeschränkt“, erklären Wilhelm Hofmann von der Universität Köln und seine Kollegen.

Moraltest per Handy

Um die Bedeutung von Moral außerhalb dieser gestellten Situationen zu erforschen, nutzten Hofmann und seine Kollegen die Tatsache aus, dass fast jeder heute mit einem Handy herumläuft. An ihrem Experiment nahmen 1.252 Menschen verschiedenen Alters und unterschiedlicher sozialer und wirtschaftlicher Hintergründe teil. Fünf Mal am Tag zu zufällig ausgewählte Zeiten erhielten die Probanden  ein SMS der Forscher, durch die sie gefragt wurden, ob sie innerhalb der letzten Stunde selbst eine moralische oder unmoralische Tat begangen oder bei anderen gesehen hatten. Die Teilnehmer beschrieben diese dann und  klickten auf einem Kurzfragebogen an, welche Gefühle diese Handlung bei ihnen auslöste. Insgesamt gingen so innerhalb von drei Tagen 13.340 Feedbacks bei den Forschern ein, in knapp 30 Prozent der Fälle berichteten die Teilnehmer, gerade eine moralische oder unmoralische Tat begangen oder gesehen zu haben.

Bei der Auswertung der Berichte kristallisierten sich mehrere Merkmale unseres moralischen Alltagsverhaltens heraus, wie die Forscher berichten. So wirken gute Taten ansteckend: Wenn jemand anderes sich uns gegenüber hilfsbereit, fair, ehrlich oder anderweitig „gut“ verhält, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns dann ebenfalls moralisch verhalten. Geht es um die eigene gute Tat, funktioniert diese Ansteckung allerdings nicht – im Gegenteil: „Wenn jemand früh am Tag moralisch gehandelt hatte, dann machte dies eine unmoralische Tat später am Tag überproportional wahrscheinlicher“, berichten Hofmann und seine Kollegen. Offenbar werden wir uns selbst gegenüber nachsichtiger, wenn wir schon mal mit einer guten Tat „vorgelegt“ haben.

Religiöse handeln nicht moralischer

Die Auswertung enthüllte aber auch interessante Details darüber, ob und wie Religion und politische Einstellung das moralische Verhalten im Alltag beeinflussen.  So fanden die Forscher keinerlei Hinweise darauf, dass religiöse Menschen mehr „gute Taten“ vollbringen als nicht-religiöse. Religiöse Menschen reagierten jedoch emotionaler: Sie waren beschämter und fühlten sich schuldiger, wenn sie sich bei einer unmoralischen Handlung ertappten, dafür aber auch stolzer und dankbarer, wenn sie Gutes taten. Einen noch deutlicheren Einfluss hatte die politische Ausrichtung der Teilnehmer: Eher liberal eingestellte Probanden berichteten sehr viel häufiger über Situationen, in denen es um Fairness/Unfairness, um Freiheit oder Unterdrückung oder um Ehrlichkeit gegenüber Lügen ging. Bei Konservativen spielten dagegen Loyalität, Autorität versus Subversion und Recht gegenüber Unrecht eine wichtigere Rolle. „Unser Alltagsverhalten bestätigt damit, dass politische Ideologien ganz unterschiedliche Schwerpunkte in den Moralvorstellungen setzen“, konstatieren die Forscher.

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Und auch das alte biblische Sprichwort von der Blindheit gegenüber dem Balken im eigenen Auge, aber dem Lamentieren über das Streichholz im Auge des anderen, bestätigte das Experiment: Wenn es um das moralische Handeln anderer ging, berichteten die Teilnehmer doppelt so häufig über schlechte Taten wie über gute. Das passe gut zu den Beobachtungen, dass Klatsch meist negativ sei und ein guter Ruf schwerer aufzubauen ist als ein schlechter, erklären die Forscher. Umgekehrt neigten die Probanden dazu, eher gute als schlechte eigene Taten zu berichten. Der Grund dafür ist nicht unbedingt, dass wir unser unmoralisches Handeln absichtlich verschweigen, sondern eher, weil wir dazu neigen, eigene gute Taten eher zu behalten und zu registrieren.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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