Die Anatomie einer Stadt verrät nicht nur einiges über ihre Bewohner und deren Kultur. Sie spiegelt auch die Entstehung und Entwicklung dieser Stadt im Laufe der Geschichte wider – beispielsweise ob sie am Reißbrett geplant wurde oder allmählich historisch gewachsen ist. Gerade, rechtwinklig aufeinander treffende Straßen und gleichgroße Häuserblöcke beispielsweise können ein Hinweis auf eine gezielte Stadtplanung sein, gewundene, enge Gassen mit kleinen, verschieden großen Häuserblöcken deuten dagegen eher auf ein organisches Wachstum hin. Eine relativ simple Methode, um diese strukturellen Unterschiede für Städte rund um die Erde zu erfassen und zu vergleichen, haben nun Rémi Louf vom Institut für Theoretische Physik in Gif-sur-Yvette und sein Kollege Marc Barthelemy vom Zentrum für Analysen und Sozialmathematik in Paris entwickelt.
Häuserblocks als Grundlage
Der städtische Fingerabdruck der Forscher beruht primär auf einem Vergleich der Form und Größe von Häuserblocks – und damit quasi auf den Zellen im Netzwerk der Straßen einer Stadt. Im Gegensatz zu Straßen sind sie leichter einzugrenzen und prägen zudem schon intuitiv den Eindruck, den wir vom Kartenbild einer Stadt haben: „Das was das menschliche Auge beim Betrachten eines Stadtplans wahrnimmt, kommt nicht von den einzelnen Straßen, sondern von der Verteilung, Form und Größe der Häuserblocks“, konstatieren die Wissenschaftler. Sie nutzten Daten von OpenStreetMap für 131 Städte aller Kontinente und ermittelten für jede Stadt, wie häufig Blocks bestimmter Größe und Form in ihnen vorkamen.
Nahezu alle untersuchten Städte ließen sich auf diese Weise in vier verschiedene Kategorien einteilen, wie die Forscher berichten. Buenos Aires beispielsweise besitzt ein absolut regelmäßiges Netz nahezu gleichgeformter, rechteckiger und mittelgroßer Häuserblöcke und ist damit ein typischer – und in dieser Stichprobe der einzige – Vertreter der ersten Gruppe. Ganz anders dagegen Athen, die Hauptstadt Griechenlands: Ihre Häuserblöcke sind eher klein und haben ganz unterschiedliche Formen. Nach Angaben der Forscher könnte dieser zweite Typ charakteristisch sein für Städte mit einer sehr langen Geschichte. In Europa gehörten allerdings nur Athen und Istanbul zu diesem Typ – zumindest in der Stichprobe der Forscher. Viele Großstädte Asiens sind dagegen ebenfalls nach diesen Strukturprinzip aufgebaut. Ganz für sich stand in der Stichprobe der Forscher die afrikanische Stadt Mogadischu: Mit ihren kleinen, aber extrem regelmäßigen rechteckigen Häuserblocks bildeten sie für sich eine eigene Kategorie.
Europäisches Flair in eigener Untergruppe
Zur größten der vier Gruppen gehörten fast alle europäischen und nordamerikanischen Städte der Stichprobe. Typischerweise haben sie ähnlich wie Athen unterschiedlich geformte Häuserblocks, es dominieren aber Blocks mittlerer Größe. Trotz dieser prinzipiell ähnlichen Struktur diesseits und jenseits des Atlantiks stellten die Forscher aber auch klare Unterschiede fest: Alle europäischen Städte und einige US-Städte wie Boston, Washington, Portland oder Pittsburgh fallen in die gleiche Untergruppe. „Das bestätigt das subjektive Gefühl, dass diese US-Städte ein eher europäisches Flair besitzen“, erklären Louf und Barthelemy. News York und andere subjektiv als typisch amerikanisch wahrgenommene Städte bilden dagegen eine weitere Untergruppe mit etwas gleichmäßigeren Blockformen und Größen.
Natürlich könne dieser städtische Fingerabdruck nicht alle Eigenheiten einer Metropole widerspiegeln, betonen die Wissenschaftler. So bestehen viele Städte aus Bezirken und Stadtvierteln mit ganz unterschiedlicher Geschichte und Struktur. „Doch trotz der Simplifizierungen unserer Methode glauben wir, dass sie es erleichtert, die Struktur verschiedener Städte quantitativ und systematisch zu vergleichen“, konstatieren Louf und Barthelemy. Verfeinere man diese Methode weiter, dann könne sie dazu beitragen, die Mechanismen des urbanen Wachstums besser zu verstehen.