Die im nördlichen Amazonasgebiet an der Grenze von Brasilien zu Venezuela lebenden Yanomami gelten als besonders ursprüngliches Naturvolk. Bis in die 1950er Jahre hinein hatten sie so gut wie keinen Kontakt mit Europäern oder andern Gebietsfremden. Die scheuen Yanomami leben tief im Regenwald und bauen dort auf kleinen Feldern Bananen, Maniok und andere Nutzpflanzen an. Fleisch liefert ihnen die Jagd. Entgegen dem vor allem in Europa verbreiteten Bild der „friedliebenden Wilden“ spielen Kriege in der Kultur der Yanomami allerdings eine durchaus wichtige Rolle. „Typischerweise greifen Gruppen von Männern dabei ein feindliches Dorf im Morgengrauen an, töten mehrere Feinde und ziehen sich dann schnell zurück“, erklären Shane Macfarlan von der University of Utah in Salt Lake City und seine Kollegen. Die Kriegs-Teilnehmer, die einen Gegner getötet haben, erhalten hinterher einen besonderen Status: Nach einer rituellen Reinigung werden sie zu „Unokai“ ernannt und erfahren besondere Achtung, wie die Forscher berichten.
Macfarlan und seine Kollegen haben nun anhand von ethnologischen Daten aus den 1980er Jahren erstmals genauer untersucht, wie diese Gruppen von Yanomami-Kriegern zusammengesetzt sind und welche Vorteile diese Kriegszüge ihnen bringen. „Wir haben erwartet, dass die Yanomami als ‚Bruderbanden‘ in den Kampf ziehen – als Männergruppen aus eng verwandten Bewohnern des gleichen Dorfes“, sagt Macfarlan. Denn auf die gleiche Weise seien auch die Kampftrupps der Schimpansen zusammengesetzt – die einzigen großen Primaten außer dem Menschen, die sich gezielt zusammentun, um Artgenossen zu bekämpfen und zu töten.
Lieber Fremde als Brüder
Doch die Auswertungen der Daten, die Forscher bei Aufenthalten unter den Yamomami gesammelt hatten, ergaben ein ganz anderes Bild: Typischerweise stammten die Kampfgefährten aus verschiedenen Dörfern der Umgebung, waren nicht miteinander verwandt und alle etwa im gleichen Alter. Im Gegensatz zu den Bruderbanden der Schimpansen handelt es sich hier demnach eher um strategische Allianzen, wie die Forscher berichten. Denn welche Vorteile diese auf den ersten Blick zusammengewürfelten Kriegertrupps haben, zeigte sich nach gelungenem Kriegszug: Typischerweise blieben die Kampfgefährten miteinander in engem Kontakt und zogen teilweise sogar in die Dörfer ihrer Kameraden um. Wie die Forscher berichteten, nahmen die „Unokai“ zudem überdurchschnittlich oft die Schwestern ihrer ehemaligen Mitkämpfer zur Frau.
„Die Vorteile bestehen in den Allianzen, die man erst durch die gemeinsamen Kämpfe schmiedet“, erklärt Macfarlan. Die gemeinsam durchgestandene Gefahr und das gemeinsame Töten der Gegner schaffe eine enge psychologische Verbindung, die hinterher die Basis für Kooperationen und neue Gemeinschaften liefere. „Für die Yanomami besteht der Kriegsgewinn nicht in Land oder Frauen der angegriffenen Gegner, sondern in Verbündeten, die ihnen bei der Arbeit helfen und mit denen sie potenzielle Partnerinnen austauschen“, so der Forscher. Die Kriegstrupps seien damit weniger Bruderbanden als vielmehr Schwager-in-spe-Banden.
Nach Ansicht der Forscher unterstreichen diese Ergebnisse, wie eng Töten und Kooperation bei uns Menschen verknüpft sind. „Unsere ultrakooperativen Tendenzen gehen Hand in Hand mit unseren kriegerischen Neigungen“, sagt Macfarlan. In modernen Kriegen sei die Allianzbildung zum gemeinsamen Vorteil völlig normal. Die Studie zeige nun aber, dass dies auch schon im kleinen Maßstab bei Naturvölkern der Fall sei. Eine so enge Verbindung zwischen Gewalt und Kooperation kenne man bei keinem anderen Lebewesen.