Eigentlich handelt es sich bei den 64 Arten der Familie der Schiffsbohrwürmer gar nicht um Würmer, sondern um Muscheln. Ihr Körper ist stark verlängert und wurmartig gestreckt. Am Vorderende besitzen sie aber durchaus eine kleine zweiklappige Schale. Damit bohren sie sich ins Holz und verschaffen sich kleine Holzspäne, die ihnen als Nahrung dienen. Die Wohnröhre des Schiffsbohrwurms besitzt eine Öffnung zum Wasser hin, die er über zwei kleine spatelförmige Kalkplatten verschließen kann. Das macht den Befall auch so tückisch – man sieht ihn von außen kaum.
Bio-Treibstoff mit dem Konzept eines Schädlings
Die Ernährungsweise der Schiffsbohrwürmer hat sie zu berüchtigten Schädlingen gemacht: Sie zerfressen alle Arten von Holzkonstruktionen, die sich im Wasser befinden und machen sie marode – ähnlich wie die Termiten an Land. Vor allem bei Holzschiffen birgt dies Gefahren. In seinen Logbüchern berichtete Christoph Kolumbus eindrucksvoll von den Wurm-Schäden: Ihm zufolge zerfielen seine Schiffe regelrecht unter den Füßen der Mannschaft. Aber nicht nur Schiffe waren und sind betroffen. 1731 hatte der Schiffsbohrwurm beispielsweise in Holland hölzerne Deichtore zerfressen, worauf sie bei einer Sturmflut brachen, was eine verheerende Flut verursachte. Und auch heute noch richten die „Termiten der Meere” weiterhin enorme Schäden an.
Den Forschern um Daniel Distel von der Northeastern University in Nahant zufolge könnte die zerstörerische Kraft der Schiffsbohrwürmer der Menschheit allerdings eines Tages auch etwas Gutes bringen: Ihre Fähigkeit die zähe Zellulose des Holzes zu verwerten, macht sie für die Entwicklung neuer Methoden zur Herstellung von Bio-Treibstoff interessant. Denn es besteht großes Interesse daran, schwer zugängliche Energiequellen, wie beispielsweise Holzabfälle, für diese Branche zugänglich zu machen. Aus diesem Grund untersuchen die Wissenschaftler bereits seit Jahren das Verdauungssystem der Bohrwurm-Art Bankia setacea. Gensequenzierungen, Proteomik, Biochemie und Mikroskopie kamen dabei zum Einsatz.
Bakterien in den Kiemen produzieren Verdauungsenzyme
Distel und seine Kollegen konnten zeigen: Das Verdauungssystem dieser Tiere basiert auf einem ausgesprochen ungewöhnlichen Konzept. Bei vielen Lebewesen einschließlich des Menschen schließen Mikroben im Darm schwer verdauliche Nahrungsbestandteile auf und machen sie dem Körper zugänglich. Doch nicht so im Fall der Bohr-Würmern: Bei ihnen wohnen die kleinen Helferlein in bestimmten Zellen der Kiemen. Hier produzieren sie die Enzyme, die Holzzellulose in Zucker verwandeln können. Ihre Heimat-Zellen transportieren diese Stoffe gezielt ab, so dass sie zum Verdauungssystem weitergeleitet werden können, sagen die Forscher. „Man kennt bisher kein anderes Lebewesen, das Bakterien außerhalb seines Darmes besitzt, die seine Verdauungsenzyme produzieren”, sagt Distel.
Warum die Enzymproduktion bei den Bohr-Würmern entfernt vom eigentlichen Einsatzort stattfindet, bleibt unklar. Doch den Forschern zufolge wird dadurch eines deutlich: Diejenigen Enzyme, die der Wurm zur Verdauung transportiert, bilden den optimalen Cocktail für die Umwandlung der Holzzellulose in Zucker-Stoffe. Die Forscher konnten diese Substanzen nun charakterisieren. „Unsere Untersuchungen haben neue Enzyme und Enzym-Kombinationen identifiziert, die für die Herstellung von Bio-Treibstoff sehr interessant sein könnten”, resümieren die Forscher. Eines Tages könnten die Schiffsbohrwürmer also in gewisser Weise Wiedergutmachung für ihre enormen Fraßschäden leisten.