Die Biotechnologie spielt auch im nächsten Fall eine Hauptrolle: US-Forschern ist zusammen mit einer niederländischen Biotech-Firma möglicherweise der erste Schritt in Richtung einer universellen Grippeimpfung gelungen. Das Team hat einen Antikörper entdeckt, der zusammen mit einem bereits vor zwei Jahren vorgestellten Artgenossen nahezu alle Arten von Grippeviren daran hindern kann, ihr genetisches Material in die Zellen eines infizierten Organismus einzuschleusen. Der Trick dabei: Während die herkömmlichen Grippeimpfungen immer auf ein pilzförmiges Protein namens Hämaglutinin auf der Oberfläche der Virushülle abzielen, das zwar charakteristisch und gut zugänglich ist, sich aber häufig verändert, nehmen die beiden neuen Antikörper sozusagen unveränderliche Kennzeichen der Viren ins Visier ? Strukturen also, die ihre Form dauerhaft behalten. Erste klinische Tests der neuen Antikörper sollen in Kürze beginnen, berichten die Forscher. Sollten sie sich als erfolgreich erweisen, sind zwei Weiterentwicklungen denkbar: zum einen eine passive Impfung, bei der die Antikörpermischung direkt verabreicht wird und die vor allem als Sofortmaßnahme bei einem Ausbruch eingesetzt werden könnte. Und zum anderen eine aktive Impfung, bei der der Körper gezielt dazu gebracht wird, selbst Antikörper gegen die Zielstrukturen der beiden jetzt beschriebenen Abwehrproteine zu bilden. Letzteres sei das eigentliche Ziel, so die Forscher ? denn damit wäre die jährlich notwendige Impfung mit ihren wechselnden Erfolgsquoten endlich Geschichte. (Damian Ekiert, Scripps Research Institute, La Jolla, et al.: Science, Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1126/science.1204839)
Weiter geht es zu einer Schimpansendame namens Panzee und deren ungewöhnlichen Zuhörerqualitäten. Aufgewachsen unter Menschen und seit ihrem 8. Lebenstag behandelt wie ein Menschenkind versteht Panzee mittlerweile mehr als 128 Wörter und kann selbige auch benutzen, indem sie auf ein entsprechendes Symbol deutet. Diese Erfahrung im Umgang mit Sprache nutzte jetzt ein Team aus drei Sprachwissenschaftlern, um eine grundlegende, immer wieder gestellte Frage anzugehen: Haben Menschen ein einzigartiges Talent zum Verstehen von Sprache? Oder sind die biologischen Grundlagen auch bei anderen Tieren wie etwa den nah verwandten Schimpansen vorhanden? Für ihren Test nutzten die Forscher Wörter, die Panzee kannte, die sie in der eigentlichen Sitzung jedoch stark verzerrt hörte. Menschen können derart reduzierte Laute immer noch verstehen, was einige Wissenschaftler zu der Annahme verleitet, diese Fähigkeit spiegele ihr einzigartiges Sprachtalent wider. Die Leistung von Panzee spricht jedoch dagegen, konnten Lisa Heimbauer und ihre Kollegen zeigen: Zwar erkannte die Schimpansin nur gut die Hälfte der Wörter, dieser Wert lag aber weit über dem, der beim reinen Raten zu erwarten gewesen wäre. Bei einer bestimmten Form der Verzerrung lagen Panzee und 32 menschliche Probanden sogar praktisch gleichauf, berichten die Forscher. Natürlich könne man nicht ausschließen, dass es trotzdem noch Fähigkeiten gibt, über die ausschließlich der Mensch verfügt und die für den eleganten Umgang mit Sprache nötig sind, räumt das Team ein. Das Verstehen von verzerrten Wörtern gehört jedoch nicht dazu ? das dafür notwendige Equipment scheint bereits bei den gemeinsamen Vorfahren von Schimpansen und Menschen vorhanden gewesen zu sein und wird beim Menschen wohl vor allem durch das langjährige ständige Training verfeinert, das Kinder im täglichen Leben erhalten. (Lisa Heimbauer, Georgia State University, Atlanta, et al.: Current Biology, Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1016/j.cub.2011.06.007)
Diese Woche bescherte auch eine der wohl makabersten Analysen der Finanzkrise von 2008 und 2009. Ihr Fazit: Die Krise hat in Europa zu einem Anstieg der Selbstmordraten geführt ? und zu einem Niedrigrekord bei den Verkehrstoten. EU-weit stieg die Arbeitslosigkeit zwischen 2007 und 2009 demnach um 2,6 Prozentpunkte an, das sei ein relativer Zuwachs von 35 Prozent, sagen die Autoren. Gleichzeitig kehrte sich der Abwärtstrend bei den Selbstmordzahlen plötzlich um, vor allem in den Ländern, die bereits vor 2004 der EU angehörten. Dort stieg die Rate um fast sieben Prozent. Lediglich Österreich habe 2009 weniger Selbstmorde zu verzeichnen gehabt als 2007. Dass parallel dazu die Anzahl der tödlichen Verkehrsunfälle abnahm, führen die Wissenschaftler darauf zurück, dass aufgrund der höheren Arbeitslosigkeit weniger Menschen zu ihren Arbeitsplätzen gelangen mussten ? und so folglich insgesamt weniger ihr Auto nutzten. Besonders beeindruckend war die Abnahme in Litauen, wo die Zahl um fast 50 Prozent fiel. Allerdings seien dort vor 2008 auch sehr viele Verkehrstote zu beklagen gewesen, so die Forscher. Doch auch in Irland und Spanien nahmen die tödlichen Unfälle zwischen 2007 und 2009 um 25 Prozent ab ? mit einem laut den Forschern unangenehmen Nebeneffekt: Es hätten dadurch auch weit weniger Organspender zur Verfügung gestanden. Die Zahlen seien allerdings noch vorläufig, man habe nicht aus jedem Land ausreichendes Datenmaterial zur Verfügung gehabt. Sobald mehr Informationen zur Hand sind, wollen die Wissenschaftler eine noch genauere Analyse der Todesraten veröffentlichen. (David Stuckler, University of Cambridge, et al.: The Lancet, Bd. 378, S. 124)
Zum Schluss noch eine praktische Erfindung. Fische, speziell Raubfische, besitzen ein Verdauungssystem, das sozusagen auf Zuwachs angelegt ist: Es kann zwei- bis dreimal so viel Nahrung fassen, wie sein Besitzer bei einer durchschnittlichen Mahlzeit zu sich nimmt. Warum das so ist, haben nun zwei US-Forscher mithilfe von über 600 Fischpopulationen mit Tieren aus 38 verschiedenen Arten eruiert. Ihr Ergebnis: Was auf den ersten Blick wie völlig überflüssiger Ballast aussieht ? schließlich muss der Riesendarm mit Blut versorgt und mit herumgeschleppt werden ?, lohnt sich energetisch immer dann für die Fische, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem sie nicht regelmäßig auf ihre Beutetiere treffen. Wer nämlich heute einen ganzen Schwarm appetitlicher Häppchen und dafür morgen und übermorgen wahrscheinlich gar nichts auf dem Speiseplan hat, muss auf Vorrat fressen. Und genau das macht das überdimensionierte Verdauungssystem möglich. Es komme in der Natur demnach offenbar nicht so regelmäßig zu Kontakten zwischen Beute und Räuber wie gedacht ? vielmehr scheine das Muster sehr viel variabler zu sein als angenommen, schließen die Forscher. (Jonathan Armstrong und Daniel Schindler, University of Washington, Seattle: Nature, Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1038/nature10240)