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Hirnstimulation beeinflusst Ehrlichkeit

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Hirnstimulation beeinflusst Ehrlichkeit
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Ob wir bei einem Würfelpsiel um Geld schummeln, lässt sich manipulieren - mit transkranieller Hirnstimulation (Foto: proxyminder/iStock)
Ob wir schummeln oder ehrlich sind, hängt meist von der Situation, aber auch unserer Persönlichkeit ab. Doch der Grad unserer Ehrlichkeit lässt sich auch gezielt manipulieren, wie ein Experiment nun demonstriert: Durch die elektrische Stimulation eines bestimmten Areals im Stirnhirn sank die Rate deutlich, mit der die Probanden bei einem Würfelspiel schummelten. Wie die Forscher erklären, beeinflusst diese Manipulation offenbar das Abwägen im Konflikt zwischen Ehrlichkeit und Eigennutz.

Theoretisch sind sich die meisten Menschen darin einig, dass Lügen und Schummeln weder sonderlich sozial noch moralisch einwandfrei sind. Gleichzeitig jedoch hat fast jeder von uns in bestimmten Situationen schon einmal gelogen. Studien zeigen zudem, dass bestimmte Berufe und Situationen uns besonders zum Schummeln verführen können. „Der Konflikt zwischen Ehrlichkeit und materiellem Eigeninteresse ist ein zentraler Aspekt des menschlichen Soziallebens“, erklären Michel André Maréchal von der Universität Zürich und seine Kollegen. „Doch über die neurobiologischen Prozesse, die Menschen dazu befähigen, diesen Konflikt zwischen Ehrlichkeit und persönlichem Vorteil zu lösen, ist bisher kaum etwas bekannt.“ Bisherige Studien konzentrierten sich meist darauf, die Einflussfaktoren zu untersuchen, die unsere Schummelneigung beeinflussen oder nutzten wenig geeignete Spielexperimente, um die neuronalen Grundlagen aufzuklären, wie die Forscher erklären. Immerhin gibt es jedoch erste Anhaltspunkte dafür, welches Hirnareal zumindest mit an der Ehrlichkeit beteiligt sein könnte: Bei Hirnscans korrelierte die Aktivität im rechten hinteren Teil des präfrontalen Cortex mit der Entscheidung für ehrliches Verhalten der Probanden.

Bei Stromreiz ehrlicher

Doch wie groß ist der Einfluss dieses Hirnareals tatsächlich? Um das zu überprüfen, führten Maréchal und seine Kollegen ein gewagtes Experiment durch: Sie wollten wissen, ob sich die Ehrlichkeit ihrer 300 Probanden durch eine transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) manipulieren lässt. Bei dieser Form der Stimulation wird über am Kopf anliegende Elektroden schwacher elektrischer Strom durch den Schädelknochen hindurch ins Gehirn geschickt. Im Experiment bekamen die Teilnehmer die Chance, sich durch Würfeln ein wenig Geld zu verdienen. Sie sollten dafür pro Durchgang zehnmal würfeln und die Ergebnisse jeweils in einen Computer eingeben. Vorher bekamen sie angezeigt, welche gewürfelte Zahl mit neun Franken belohnt wurde. Je häufiger die Teilnehmer diese Zahl in diesem Durchgang würfelten, desto mehr Geld erhielten sie. Ob sie dabei schummelten oder nicht, blieb dabei vermeintlich unbeobachtet. Während des Würfelexperiments erhielt ein Drittel der Probanden eine Stimulation des rechten dorsolateralen präfrontalen Cortex, ein weiteres Drittel trug die Elektrodenkappe, ohne dass Strom floss und ein letztes Drittel bekam falsch gepolte Impulse. Wer welche Behandlung bekam, wussten weder die Teilnehmer noch die Wissenschaftler.

Die Auswertung ergab deutliche Unterschiede zwischen den Kontrollgruppen und den mit der Hirnstimulation behandelten Probanden. Die Kontrollpersonen zeigten die für dieses Spiel typische Schummelneigung: Sie gaben an, in 68 Prozent der Würfe die gewünschte Zahl gewürfelt zu haben. Realistisch und zufällig wären jedoch nur rund 50 Prozent. Anders jedoch die mittels Stromimpulsen manipulierten Probanden: Die von ihnen angegebene Trefferquote beim Würfeln lag bei nur 58 Prozent, wie die Forscher berichten. Auch die in den anderen Gruppen vorkommenden Angaben über sieben, acht oder neun passende Würfe hintereinander gab es in dieser Gruppe kaum. „Dieses Ergebnis spricht dafür, dass die Hirnstimulation das Schummeln bei den Teilnehmern reduzierte“, so Maréchal und seine Kollegen. „Die Ehrlichkeit kann demnach durchaus durch nichtinvasive Manipulation gestärkt werden.“

Einfluss auf Konflikt zwischen Ehrlichkeit und Eigennutz

Aber warum? Um mehr über den Mechanismus herauszufinden, führten die Wissenschaftler weitere Tests durch. In einem davon prüften sie, ob die Stimulation möglicherweise den Reiz des finanziellen Gewinns gesenkt hatte und so die Ehrlichkeit förderte. Doch dies bestätigte sich nicht. Auch der moralische Stellenwert der Ehrlichkeit veränderte sich durch die Stimulation nicht, wie die Forscher feststellten. Ein weiteres Würfelexperiment ergab: Wenn der Gewinn des Würfelns einem anderen zugutekam und nicht dem Probanden selbst, dann schummelten alle Gruppen fast gleich viel. „Die Stimulation beeinflusst demnach nicht alle Formen unehrlichen Verhaltens, sondern spezifisch nur die Konflikte zwischen Ehrlichkeit und Eigennutz“, sagen Maréchal und seine Kollegen. Und auch dies funktioniert offenbar nur bei den Menschen, die nicht schon von vornherein fest entschlossen sind, den eigenen Gewinn um jeden Preis zu maximieren: Im Experiment lag der Anteil derjenigen, die dreist angaben, in allen zehn Würfe die richtige Zahl gewürfelt zu haben, annähernd stabil bei rund acht Prozent. Diese Teilnehmer hatten sich offensichtlich wenig Gedanken darüber gemacht, welcher Grad des Schummelns vielleicht noch vertretbar oder unauffällig sein könnte.

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Die Forschenden betrachten ihre Resultate als wichtigen Schritt hin zur Identifizierung der Hirnprozesse, die es Menschen ermöglichen, sich ehrlich zu verhalten. „Diese Hirnprozesse könnten grundlegend sein für individuelle Unterschiede in der Ehrlichkeit – auch in Bezug auf pathologische Ausprägungen“, erklärt Koautor Christian Ruff von der Universität Zürich. Die jüngsten Resultate werfen die Frage auf, inwieweit Ehrlichkeit auf eine biologische Veranlagung zurückzuführen ist. Dies dürfte für die Rechtsprechung von zentraler Bedeutung sein. „Sollte Unehrlichkeit tatsächlich auf biologische Voraussetzungen zurückzuführen sein, stellt unsere Studie infrage, in welchem Ausmass Menschen für ihr Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden können“, schließt Maréchal.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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