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Getäuschter Zeigefinger

Erde|Umwelt

Getäuschter Zeigefinger
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Mit diesem System erzeugten die Forscher die Illusion. Foto: CITEC/Universität Bielefeld
Unsere Sinne können uns bekanntlich täuschen – das gilt auch für den Tastsinn. Über eine bisher unbekannte Form der Wahrnehmungsillusion der Finger berichten nun Kognitionswissenschaftler der Universität Bielefeld. Probanden legten bei den Versuchen ihren Zeigefinger in einen Apparat und berührten dabei eine Oberfläche, deren Härte sich veränderte, ohne dass die Testpersonen dies bemerkten. Während der Berührung entstand stattdessen die Illusion, dass sich die Stellung des Fingers veränderte, obwohl er fixiert war.

Zu der aktuellen Entdeckung kam es im Rahmen von Forschungsarbeiten, die letztlich zum Ziel haben, einen virtuellen Tastsinn zu entwickeln. “So könnte man aus der Ferne ertasten, wie sich beispielsweise ein Pullover oder ein anderes Produkt anfühlt, das es bei einem Online-Versand zu kaufen gibt”, erklärt Marc Ernst von der derUniversität Bielefeld. Eine grundlegende Frage bei diesem Ziel ist es: Welche Empfindungen beim Tasten spielen eine Rolle für die Wahrnehmung? Wenn eine Person zum Beispiel einen Schwamm anfasst, spürt sie über die Tastsensoren in der Haut, wie der Gegenstand beschaffen ist. Je mehr sie presst und je weicher das Objekt ist, desto größer wird die Kontaktfläche. “Wir wollten in unserer neuen Studie klären, ob diese Kontaktfläche, die charakteristische Informationen über das Objekt und die Interaktion mit ihm enthält, Auswirkungen auf die Wahrnehmung hat”, sagt der Kognitionswissenschaftler.

Raffinierte Versuchsapparatur

Für ihre Versuche bauten die Forscher einen Apparat, in den Probanden ihre Hand und den Unterarm in eine Führung einlegen. Die Fingerspitze des Zeigefingers ruht dabei auf einem Stoff, dessen Härte die Forscher verändern konnten. Die Probanden wurden nun nicht danach gefragt, ob sich die Härte des Materials an der Fingerspitze veränderte, sondern wann ihrer Meinung nach der Finger durch die Apparatur weiter abgeknickt wurde. Tatsächlich veränderte sich die Stellung des Fingers auch gar nicht, sondern nur die Härte des Stoffes. Es zeigte sich: Alle Probanden schätzten das scheinbare Abknicken des Fingers am größten ein, wenn der Stoff weich war.

Den Forschern zufolge entsteht diese Illusion dadurch, dass das weiche Material vergleichsweise mehr Hautfläche berührt. Sie vergleichen den Effekt mit der menschlichen Wahrnehmung beim Sehen: “Wenn ein Objekt uns näher kommt, wird dessen Bild immer größer”, erklärt Co-Auto Alessandro Moscatelli. Aus diesem Grund interpretiert unser Gehirn Größerwerdendes in der Regel als einen sich nähernden Gegenstand und nicht als ein sich ausdehnendes Objekt. Wissenschaftlich wird diese visuelle Empfindung als “Looming” (deutsch: Anbahnung) bezeichnet.

“Taktiles Looming”

Den Bielefelder Forschern zufolge kommt es beim Tasten zu einem ähnlichen Effekt: Wenn der Finger in Kontakt mit einem Objekt kommt und die Kontaktfläche immer größer wird, interpretiert dies unser Gehirn: Das Objekt kommt näher, beziehungsweise der Finger muss sich mehr abknicken, um in das weiche Material zu drücken. Ähnlich wie unser Verstand nicht annimmt, dass sich ein Objekt plötzlich ausdehnt, nimmt das Gehirn auch nicht an, dass ein Objekt plötzlich seine Härte verändert. So kommt es zu der Wahrnehmungsillusion, dass sich die Stellung des Fingers verändert. Die Forscher nennen das Phänomen “taktiles Looming”.

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“Unsere Studie beweist, dass für die Wahrnehmung unseres Körpers und die Stellung seiner Gliedmaßen selbst die Tastsensoren in der Haut der Fingerspitzen eine große Rolle spielen. Entscheidend ist, mit wie viel Oberfläche unsere Haut in Berührung kommt: Je mehr Kontaktfläche, desto näher erscheint uns ein Objekt, und daher umso mehr abgeknickt der Finger”, resümiert Ernst. Dieser Effekt gehört somit zu einer wichtigen menschlichen Fähigkeit, betont der Wissenschaftler: “Würden wir unsere Körperstellungen nicht genau kennen, könnten wir nicht greifen, nicht fangen, und nicht mit Objekten oder anderen Personen interagieren”, so Ernst.

Quelle:

© wissenschaft.de – Martin Vieweg
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