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Individualismus macht Bakterienkolonien stark

Erde|Umwelt

Individualismus macht Bakterienkolonien stark
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Nano Sekundärerionen-Massenspektrometer Aufnahme von K. oxytoca Bakterien. Die unterschiedliche Färbung zeigt, dass die genetisch gleichen Zellen einer Population unterschiedlich viel elementaren Stickstoff in die Zellmasse einbauen. (Bild: Frank Schreiber)
Die individuellen Begabungen in einer Menschengruppe erhöhen ihre Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern – offenbar gilt Ähnliches auch für Bakterien: Forscher konnten zeigen, dass unter bestimmten Bedingungen in Bakterienkolonien besonders viele Individualisten entstehen. Diese können dann das Überleben der Gruppe in schwierigen Zeiten sichern.

In ihren Grundzügen unterscheiden sich die Entwicklungsprozesse von Bakterienpopulationen kaum von denen anderer Lebewesen einschließlich des Menschen: Umweltbedingungen und Ressourcen bestimmen, wie sie sich vermehren und ausbreiten. Da sich diese äußeren Faktoren verändern können, haben Organismen Strategien hervorgebracht, um mit problemtischen Entwicklungen zurecht zu kommen. Das gilt auch für Bakterien. Welche Rolle dem Individualismus dabei zukommt, hat eine Forschergruppe des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen, der Eawag, der Universität Zürich und der EPFL Lausanne nun genauer untersucht.

Einzellige “Persönlichkeiten” im Blick

“Üblicherweise werden in der Mikrobiologie nur die kollektiven Eigenschaften in Populationen von mehreren Millionen oder gar Milliarden von Zellen zusammen gemessen”, sagt Frank Schreiber von der Universität Zürich. “Nur durch die enge Zusammenarbeit, die vielfältigen Kenntnisse und die technische Ausstattung der beteiligten Forschergruppen war es möglich, so ins Detail zu gehen.” Mit modernen Verfahren rückten sie den Mikroben einzeln auf den Pelz: Sie erfassten die individuelle Nahrungsaufnahme der nur 2 μm groß Wesen.

Bei ihren “Versuchstierchen” handelte es sich um Bakterien der Art Klebsiella oxytoca. Die Forscher konnten zeigen, dass Gruppen dieser Bakterien, Individualismus entwickeln, wenn sie in nährstoffarmem Kulturmedium leben: Einige Bakterien gingen ungewöhnlich mit den Nährstoffen in ihrer Umgebung um. “Obwohl alle Individuen der Gruppe genetisch identisch sind und den gleichen Umweltbedingungen ausgesetzt waren, sind die einzelnen Zellen verschieden”, sagt Schreiber.

Konkret: K. oxytoca Bakterien nehmen Stickstoff eigentlich bevorzugt in Form von Ammonium auf, denn das kostet sie vergleichsweise wenig Energie. In dem Ammonium- “mageren” Kulturmedium holten sich allerdings einige Zellen der Gruppe ihren Stickstoff durch Stickstofffixierung aus elementarem Stickstoff. Das erscheint erstaunlich, denn eigentlich war diese Version der Stickstoffaufnahme bei den Ausgangsbedingungen deutlich aufwendiger, berichten die Forscher.

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Mangel fördert Vielfalt – Vielfalt macht flexibel

Doch der Nachteil kann schnell zum Vorteil werden: Geht das Ammonium plötzlich ganz aus, sind die stickstofffixierenden Zellen auf den Mangel gut vorbereitet. Diese Bakterien ermöglichen dann der Gruppe das Überleben, erklären die Forscher. Das bedeutet, dass diese Bakterienpopulationen sich nicht nur – wie meist angenommen – im Nachhinein veränderten Umweltbedingungen anpassen. Durch die Individualisierung kann die Gruppe auch schon im Vorhinein auf problematische Veränderungen vorbereitet sein.

Den Forschern zufolge betonen die Studienergebnisse, wie wichtig Individualität – bei Bakterien und im Allgemeinen – in einer veränderlichen Umwelt sein kann: Unterschiede zwischen Individuen verleihen der ganzen Gruppe neue Eigenschaften und stärken sie so im Umgang mit Problemen. “Biologische Vielfalt scheint nicht nur im Sinn der Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen, sondern auch auf der Ebene einzelner Individuen bedeutsam zu sein”, sagt Schreiber. Er und seine Kollegen werden sich nun weiterhin dem Individualismus bei Bakterien widmen. Sie wollen herausfinden, welche Rolle individuelles Verhalten einzelner Bakterienzellen in natürlichen Lebensräumen spielt.

Originalarbeit der Forscher:

© wissenschaft.de – Martin Vieweg
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