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Todbringender Mais

Erde|Umwelt

Todbringender Mais
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Wenn der Feldhamster nur Mais zu fressen bekommt, verändert dies sein Verhalten auf fatale Weise (Foto: Allocricetulus/ iStock)
Einst auf unseren Feldern häufig, gehört der Europäische Feldmaster heute zu den bedrohten Arten in Europa. Eine überraschende Mitursache dafür haben nun französische Forscher aufgedeckt. Demnach führen die weit verbreiteten Mais-Monokulturen zu einer extrem einseitigen Ernährung und einem Mangel an Tryptophan und Vitamin B3. Als Folge verlieren die Hamsterweibchen ihren Mutterinstinkt und töten und fressen ihre neugeborenen Jungen, statt sie aufzuziehen.

Der Europäische Feldhamster (Cricetus cricetus) war lange ein Profiteur der Landwirtschaft. Der ursprünglich in den Steppen Osteuropas beheimatete Nager zog mit der Ausbreitung der Landwirtschaft westwärts und passte sich perfekt an das Leben im Acker an. Während seiner aktiven Phase vom April bis Oktober frisst der Hamster sich nicht nur ein Fettpolster an, er sammelt auch große Mengen an Körnern und Samen für magere Tage. Bis zu fünf Kilogramm Futter kann ein Hamster in seinem unterirdischen Bau lagern. In den letzten Jahrzehnten jedoch wird das Futter für den Nager immer knapper. Frühere Erntezeiten, Monokulturen, fehlende Hecken und Feldränder und der Pestizideinsatz machen es dem Hamster schwer, genügend Nahrung für sich und seine Jungen zu finden. „Besonders bedroht ist der Hamster durch die Ausbreitung der Weizen- und Mais-Monokulturen in Westeuropa“, erklären Mathilde Tissier und ihre Kollegen von der Universität Straßburg. Ob dies nur an einem Futtermangel nach der Ernte liegt, oder ob auch die Eintönigkeit der Nahrung eine Rolle spielt, haben sie nun näher untersucht.

In ihren Experimenten fütterten die Forscher weibliche Hamster vom Aufwachen aus dem Winterschlaf bis zur Geburt ihrer Jungen mit beliebig viel Weizen oder Mais. Zusätzlich erhielten die Nager pro Tag entweder fünf Gramm Regenwürmer oder aber fünf Gramm Klee. Alle Futtervarianten enthielten etwa gleich viele Nährstoffe und Kalorien. Nachdem die Jungen geboren waren, beobachteten die Forscher das Verhalten der Hamstermütter und wogen Mütter und Nachwuchs regelmäßig und bestimmten nach Ende der Säugeperiode, wie viele Jungen überlebt hatten.

Kindsmord im Hamsterbau

Zunächst zeigten sich keine auffälligen Unterschiede: Alle Hamsterweibchen trugen ihre Jungen aus und brachten etwa gleichviel Nachwuchs zur Welt, wie die Wissenschaftler berichten. Dann jedoch geschah Überraschendes: Während die mit Weizen ernährten Hamster ihre Jungen wie üblich in Nester legten und regelmäßig säugten, war dies bei den mit Mais ernährten Hamstermüttern nicht der Fall. Sie ließen ihre neugeborenen Jungen oft wahllos im Käfig verteilt liegen und kümmerten sich nicht um sie. Im Gegenteil: „Die Hamsterweibchen platzierten die Jungen auf ihrem angesammelten Haufen von Maiskörnern und fraßen sie dann auf“, berichten Tissier und ihre Kollegen. Weniger als zwölf Prozent der Jungen überlebten bei den mit Mais gefütterten Hamstern, bei den mit Weizen gefütterten Nagern waren es mehr als 80 Prozent. „Diese Beobachtungen sprechen dafür, dass das mütterliche Verhalten bei diesen Tieren unterdrückt wird und dass sie stattdessen ihren Nachwuchs irrigerweise als Futter wahrnehmen“, erklären die Forscher. Auch die Hamsterjungen verhielten sich auffällig. Bei denen, die die ersten Lebenstage überlebten, gab es mehrere Fälle von Geschwistermord. Das aber schien seltsamerweise nur bei maislastigem Futter das Fall – obwohl die Weizenvariante die gleichen Nährstoffwerte aufwies.

Der Verdacht der Forscher: Möglicherweise liegt es an Spurenelementen im Futter und im Speziellen dem Vitamin B3 (Niacin) und seiner Vorstufe Tryptophan. Denn von Mais ist bekannt, dass er sehr wenig biologisch verwertbare Anteile dieser essenziellen Vitamine enthält. Bekannt ist aber auch, dass eine Mangelversorgung mit diesem Vitamin verheerende Folgen haben kann. Es können schwere Verdauungsstörungen, Hautveränderungen, aber auch psychische Veränderungen bis hin zur Demenz auftreten, ein Symptomkomplex der als Pellagra bezeichnet wird. „Von 1735 bis 1940 führte eine einseitig maisbasierte Ernährung dazu, dass in Nordamerika und Europa drei Millionen Menschen an Pellagra erkrankten und starben“, berichten Tissier und ihre Kollegen. „Der Mangel an Tryptophan und Vitamin B3 wird zudem in Verbindung gebracht mit erhöhten Mordraten, Selbstmorden und Kannibalismus beim Menschen.“ Könnte das ungewöhnliche Verhalten der Hamsterweibchen im Versuch ebenfalls auf eine Art Pellagra zurückgehen?

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Maisfutter verursacht Vitamin B3-Mangel

Um das zu klären, führten die Wissenschaftler ein zweites Experiment durch. In diesem erhielten Hamsterweibchen wieder Maisfutter mit einer täglichen Portion Regenwurm. Ein Teil der Nager bekam nun jedoch zusätzlich drei Gramm Niacinpulver unter die Wurmration gemischt. Wieder beobachteten die Forscher das Verhalten und den Fortpflanzungserfolg der Hamsterdamen. Und tatsächlich: Die Hamstermütter, die regelmäßig Vitamin B3 bekommen hatten, verhielten sich nach der Geburt ihrer Jungen völlig normal. Sie säugten ihren Nachwuchs und die Überlebensrate der Jungen stieg um 85 Prozent, wie Tissier und ihre Kollegen berichten. Demnach war tatsächlich die einseitige Maisdiät und der damit verbundenen Vitamin B3-Mangel für das ungewöhnliche und kannibalistische Verhalten der Hamster verantwortlich.

„Dies ist die erste Studie, die einen so starken negativen Effekt von maisbasierter Ernährung und Vitamin B3-Mangel auf ein so überlebenswichtiges Merkmal wie die Fortpflanzung enthüllt“, konstatieren die Forscher. „Diese Ergebnisse belegen, dass Mais ein ungeeignetes Futter für diese Tierart während der Reproduktion ist.“ Die Tatsache, dass die Feldhamster in vielen Gebieten Europas heute von ausgedehnten Maisfeldern umgeben sind, könnte nach Ansicht der Wissenschaftler gut erklären, warum ihre Populationen in den letzten Jahrzehnten so rapide eingebrochen sind. Allein in Frankreich seien die Hamsterbestände um 94 Prozent zurückgegangen, gleichzeitig seien die meisten Populationen dort von Maisfeldern umgeben, die siebenfach größer sind als der typische Futtersammelradius eines Hamsters. „Es ist daher dringend nötig, wieder eine größere Pflanzenvielfalt in landwirtschaftliche Anbaupläne einzuführen“, betonen Tissier und ihre Kollegen. „Nur so können wir sicherstellen, dass Feldtiere Zugang zu einer ausreichend vielseitigen Nahrung bekommen.“

Quelle:

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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