Der bislang vorherrschende Erklärungsansatz für die Evolution der besonders großen Denkorgane bei bestimmten Primatenarten wird “Soziales-Gehirn-Hypothese” genannt. Demnach war die wichtigste Triebfeder die Fähigkeit, immer komplexere Bindungen zu Artgenossen zu knüpfen, um ihr Verhalten besser einschätzen, vorhersagen und damit nutzen zu können. Das Krönungs-Beispiel, das diesen Zusammenhang zu untermauern scheint, ist der Mensch: Wir besitzen unter den Primaten das größte Gehirn sowie das komplexeste Sozialverhalten.
Eine Hypothese im Test
Aber auch bei anderen Primatenarten soll sich das Prinzip der Soziales-Gehirn-Hypothese abzeichnen, haben frühere Studien nahegelegt. Doch bei diesen Ergebnissen blieben Fragen offen und es gab Ungereimtheiten. So haben sich die Forscher um James Higham von der New York University nun erneut der Untersuchung der möglichen Zusammenhänge gewidmet.
Für ihre Studie haben sie Daten zu 140 Primatenarten ausgewertet – mehr als dreimal so viele wie in bisherigen Untersuchungen. Im Fokus standen dabei die unterschiedlichen Gehirnmassen, die Ernährungsweise, Verwandtschaftsbeziehungen und das Sozialverhalten der jeweiligen Arten. Beispielsweise wurden Informationen über die Größe der sozialen Gruppen, ihr Interaktionsniveau und das Fortpflanzungssystem zur Beurteilung der sozialen Komplexität erfasst.
Würde die Soziales-Gehirn-Hypothese gelten, hätten sich Aspekte des Sozialverhaltens als wichtigste Co-Faktoren für große Gehirne abzeichnen müssen, sagen die Forscher. Doch das war offenbar nicht der Fall: Der stärkste Indikator war hingegen die Ernährungsweise. Unter Berücksichtigung der evolutionären Verwandtschaft der einzelnen Arten untereinander und ihrer relativen Körpergrößen stellten die Autoren fest: Früchte fressende Primatenarten besitzen im Durchschnitt etwa 25 Prozent mehr Hirngewebe als Spezies, die sich von Blättern ernähren.
Die Ernährungsweise scheint prägend
Den Forschern zufolge lässt sich dieser Effekt durch die unterschiedlichen Herausforderungen erklären, welche mit diesen verschiedenen Ernährungsweisen einhergehen. “Die Verfügbarkeit von Früchten ist räumlich und zeitlich schwer einschätzbar und die Nutzung ist oft mit Herausforderungen verknüpft – beispielsweise dem kniffligen Entfernen von Schalen”, sagt Co-Autor Alex DeCasien von der New York University. “Diese Faktoren können dazu führen, dass Früchte fressende Arten eine vergleichsweise große kognitive Komplexität und Flexibilität benötigen”, sagt der Forscher.
Die Vorliebe für Früchte erklärt allerdings sicherlich nicht allein die evolutionären Entwicklungen, die letztlich zu den großen Gehirnen bis hin zu dem des Menschen geführt haben, räumen die Forscher ein. “Komplexe Ernährungsstrategien, soziale Strukturen und kognitive Fähigkeiten haben sich in der Primatenentwicklung wohl im Zusammenhang entwickeln”, betont DeCasien. “Wenn man allerdings konkret die Frage stellt, ob Ernährung oder Sozialverhalten eher die Gehirngröße von Primatenarten vorhersagt, lautet unserer Untersuchung zufolge die Antwort: Der ausschlaggebende Faktor ist die Ernährung”, so DeCasien.