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Jakobsmuscheln: Überraschender Durchblick

Erde|Umwelt

Jakobsmuscheln: Überraschender Durchblick
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Am Schalenrand trägt die Jakobsmuschel bis zu 200 Augen - und diese sind ganz besonders aufgebaut. (Foto: Ceri Jones/ Haven Diving Services)
Muscheln gelten nicht gerade als die komplexesten Wesen der Tierwelt. Doch wie sich jetzt zeigt, hat die Jakobsmuschel für das Sehen ein überraschend raffiniertes Patent entwickelt. Diese Muscheln besitzen nicht nur 200 Augen – jedes dieser Sehorgane ist auch auf einzigartige und komplexe Weise aufgebaut. Gleich zwei Netzhäute zeichnen dabei die visuellen Reize auf, die von einem aus Kristallstapeln bestehenden Spiegel auf sie projiziert werden. Die Konstruktion dieses Spiegels ähnelt dabei verblüffend der in modernen Spiegelteleskopen.

Die meisten von uns kennen Jakobsmuscheln nur als besondere Delikatesse unter den Meeresfrüchten. Die zur Gattung Pecten gehörenden Weichtiere sind mit bis zu 20 Zentimeter Schalenbreite besonders groß und besitzen ein zartes, wohlschmeckendes Fleisch. Leicht zu übersehen sind dagegen die besonderen Augen dieser Muscheln: Bereits vor gut 50 Jahren entdeckten Biologen, dass die Jakobsmuscheln bis zu 200 Augen besitzen, die rundherum an ihrem inneren Schalenrand sitzen. Ungewöhnlich auch: Diese Augen besitzen keine Linsen, sondern erzeugen das Bild mithilfe eines Spiegels auf der Netzhaut. „Das Bild wird geformt, wenn das Licht von einem konkaven Spiegel an der Hinterseite der Augenhöhle auf die davor liegende Netzhaut reflektiert wird“, erklären Benjamin Palmer vom Weizman Institute of Science im israelischen Rehovot und seine Kollegen. Wie allerdings dieser Spiegel beschaffen ist und ob die Muschel damit gleich beide Netzhäute mit einem Bild versorgt, blieb bisher offen.

Jetzt haben Palmer und seine Kollegen erstmals moderne Analysemethoden genutzt, um die Feinstruktur und das Sehprinzip des Jakobsmuschel-Auges aufzuklären. Mithilfe des Cryo-Rasterelektronenmikroskops nahmen sie dafür zunächst den Augenspiegel der Tiere unter die Lupe. Die Aufnahmen enthüllten, dass der Spiegel überraschend komplex aufgebaut ist. „Er besteht aus 20 bis 30 Schichten von Kristallen, die durch dünne Zytoplasmaschichten voneinander getrennt sind“, berichten die Forscher. „Jede Kristallschicht ist dabei wie ein Fliesenboden aus eng gepackten viereckigen Kristallplättchen zusammengesetzt.“ Die aus der Aminosäure Guanin bestehenden Kristallplättchen wiederum sind in den übereinanderliegenden Schichten so angeordnet, dass sie vertikale Stapel bilden, deren Ränder genau übereinander liegen. Nach Angaben der Wissenschaftler ist diese Kristallform und Anordnung für Guanin sehr ungewöhnlich, die Muschel muss sich demnach diese Spiegelkristalle gezielt züchten.

Ein Spiegel wie im Teleskop

Außergewöhnlich ist auch die Form des Spiegels: Er ist nicht einfach halbkugelförmig, sondern seine Krümmung variiert an verschiedenen Stellen seiner Oberfläche. Dadurch erhält der Augenspiegel der Jakobsmuschel eine komplexe Symmetrie – und entsprechend spezielle optische Eigenschaften. Er ähnelt damit verblüffend den segmentierten Spiegeln moderner optischer Großteleskope. Denn auch ihr Spiegel ist so konstruiert, dass seine Krümmung sich an die optischen Gegebenheiten anpassen kann. „Die nichtsphärische Symmetrie und die Neigung des Spiegels ermöglicht der Muschel eine weitaus komplexere Sehfähigkeit als man bisher angenommen hat“, konstatiert Palmer.

Erst durch seine besondere Form kann der optische Spiegel die Sehinformationen auf beide hintereinander liegenden Netzhäute gleichzeitig werfen. Dabei wertet die vordere, lichtempfindlichere Retina vor allem die Informationen lichtschwächerer, peripherer Bildeindrücke aus, wie Experimente der Forscher ergaben. Indem sie die Informationen ihrer 200 Augen miteinander verrechnet, erhält die Jakobsmuschel so ein besonders umfassendes Bild ihrer Umgebung. Ein weiterer Vorteil: Sowohl der Spiegel als auch die beiden Netzhäute sind in dem Wellenbereich des Lichts am sensibelsten, der im natürlichen Lebensraum der Muschel vorherrscht: Am besten verarbeitet das Muschelauge Wellenlängen im Bereich um 500 Nanometer, wie die Wissenschaftler feststellten. Dieses blaugrüne Licht entspricht dem Bereich des Sonnenlichts, der am besten in das Meerwasser vordringen kann.

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Insgesamt bilden die Augen der Jakobsmuschel damit ein weiteres Beispiel dafür, wie kreativ die Natur sein kann, wenn es darum geht, bestimmte Herausforderungen zu meistern – in diesem Fall das Sehen unter schwierigen visuellen Bedingungen. Nach Ansicht der Forscher könnten die Spiegelaugen dieser Muscheln sogar der Technik als Vorbild dienen und den Weg zu neuartigen, biologisch inspirierten optischen Kameras und Sensoren ebnen.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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