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Traumatische Erfahrungen machen Elefanten zu sozialen Krüppeln

Erde|Umwelt

Traumatische Erfahrungen machen Elefanten zu sozialen Krüppeln
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Credit: Thinkstock
Manche Elefanten haben Grausames hinter sich: In ihrer Jugend wurde ihre Familie von Helikoptern zusammengetrieben, die älteren Tiere erschossen und als Waisen wurden sie dann in eine neue Heimat verfrachtet. Solche Maßnahmen zur Kontrolle übergroßer Elefantenpopulationen können Elefanten nachhaltig zu sozialen Krüppeln machen, berichten Biologen. Das Sozialverhalten der Tiere ist demnach noch Jahrzehnte nach den Ereignissen gestört: Sie reagieren abnormal auf Lautäußerungen anderer Elefanten, zeigen Experimente. Vermutlich war das soziales Lernen von Familienmitgliedern nicht ausreichend möglich, erklären die Forscher.

Der Lebensraum des afrikanischen Elefanten ist heutzutage nicht mehr die grenzenlose Weite Afrikas. Die Tiere leben in abgezäunten Naturreservaten wie dem südafrikanischen Krüger-Nationalpark. Hier können die Dickhäuter eine große Populationsdichte entwickeln. Bis in die 1990iger Jahre hinein befürchtete man, die Vegetation könnte dem brachialen Appetit der Elefanten auf Dauer nicht standhalten. Deshalb entschloss sich die Park-Verwaltung, den Bestand zu dezimieren und junge Tiere in andere Reservate umzusiedeln. Helikopter trieben dazu Herden zusammen und Wildhüter erschossen dann vom Boden aus gezielt die älteren Tiere – nur die vier- bis achtjährigen Jungelefanten blieben von den Massakern verschont. Nachdem sie den Tod ihrer Familienmitglieder miterlebt hatten, wurden sie eingefangen und verschickt.

 

Auf diese Weise kamen einige Elefanten in den Pilanesberg National Park im Nordwesten Südafrikas, wo die aktuelle Studie durchgeführt wurde. Frühere Beobachtungen hatten bereits nahegelegt, dass mit diesen Tieren etwas nicht stimmte. Plötzlich mussten sich offenbar Nashörner in Acht nehmen: Die umgesiedelten Elefantenbullen sollen über Hundert Rhinozerösser getötet haben – ein Verhalten, das Elefanten normalerweise nicht zeigen. Auch die Kühe stehen im Ruf besonders aggressiv zu sein: Sie attackieren offenbar besonders häufig Fahrzeuge mit Touristen. In einigen Untersuchungen wurden diese Verhaltensweisen bereits als Resultat einer posttraumatischen Belastungsstörung bezeichnet. Nun, dreißig Jahre nach der Umsiedlung ist das Sozialverhalten der traumatisierten Dickhäuter immer noch gestört, zeigen die Untersuchungen der Biologen um Graeme Shannon von der University of Sussex.

 

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Keine normalen Reaktionen auf Rufe anderer Elefanten

 

Im Rahmen ihrer Studie spielten die Forscher umgesiedelten Elefanten im Pilanesberg National Park Lautäußerungen von Artgenossen vor und analysierten das Verhalten der Tiere. Als Kontrolle dienten ihnen Elefanten aus dem Amboseli-Nationalpark in Kenia, die keine traumatische Jugend durchgemacht hatten. Bei den Experimenten spielten sie Elefantenlaute mit Lautsprechern in einer Entfernung von 100 Metern von den Tieren ab. Es handelte sich um aufgezeichnete Rufe von Tieren, die den Elefanten-Probanden entweder bekannt oder unbekannt waren. Der Test sollte aufzeigen, inwieweit die Elefanten sinnvoll auf mögliche Bedrohungen reagieren. Der Ruf einer fremden dominanten Elefantenkuh kann beispielsweise bedeuten, dass sich die Gruppe auf einen Konkurrenzkampf um Futterrecourcen gefasst machen muss.

 

Als die Forscher die Rufe den Amboseli-Elefanten vorspielten, reagierten die Familien sinnvoll: Beim Ruf einer fremden dominanten Kuh, scharten sie sich um ihre Leitkuh und machten sich zur Abwehr des Eindringlings bereit. Bei Rufen von bekannten Tieren blieben sie dagegen ruhig. Die Elefanten im Pilanesberg National Park verhielten sich hingegen paradox: Sie zogen sich beim Ruf eines eigentlich vertrauten Tieres zurück und zeigten keine Gruppendynamik zur Konfrontation mit einem Eindringling, als der Ruf der fremden Kuh ertönte. Vermutlich konnten die umgesiedelten Tiere sinnvolle Verhaltensweisen nicht von ihren älteren Familienmitgliedern lernen, folgern die Forscher. Das Fehlverhalten könnte sie folglich auch noch auf nachfolgenden Generationen übertragen. Dieser Befund betont die Bedeutung des sozialen Lernens bei Elefanten. Aus einer früheren Studie war bereits hervorgegangen, dass Erfahrung bei Elefanten eine große Rolle spielt: Je klüger die Leitkuh, desto mehr Kälber bringt die Herde durch, zeigten Untersuchungen.

 

Den Forschern zufolge lässt die aktuelle Studie auch auf ähnliche Zusammenhänge bei anderen Tierarten schließen, die in komplexen Sozialstrukturen leben. Eingriffe des Menschen, die deren Bindungen untereinander zerstören, können zu dauerhaften Schäden bei jedem einzelnen Individuum führen. Beispiele solch hochentwickelter Tiere sind neben den Elefanten Menschenaffen oder Meeressäuger. Die Zerstörung von Bindungen hat auch eine ethische Komponente. Doch leider ist dieser Aspekt schwer fassbar: Niemand kann sagen, was ein junger Elefant fühlt, der auf grausame Weise seine Familienmitglieder verloren hat.

 

Originalarbeit der Forscher:

© wissenschaft.de – Martin Vieweg
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