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Artübergreifende Empathie

Erde|Umwelt

Artübergreifende Empathie
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Eine Schimpansin schaut ein Video per iPod (Yerkes National Primate Research Center)
Gähnen wirkt ansteckend: Kaum zeigt jemand seine Müdigkeit auf diese Weise, verspüren auch wir unwillkürlich den Drang, es ihm gleichzutun. Wir reagieren dabei sogar auf gähnende Tiere. Der Effekt ist aber nicht immer gleich: Je vertrauter uns ein Gegenüber ist, desto ansteckender wirkt auch sein Gähnen. US-Forscher haben nun getestet, ob sich auch Schimpansen artübergreifend anstecken lassen. Die Überraschung: Ein gähnender Mensch erwies sich für die Menschenaffen sogar noch unwiderstehlicher als ein ihnen unbekannter Artgenosse.

Gähnen gilt als Ausdruck der Empathie: Unser Gehirn erkennt das Gähnen bei einem Gegenüber als Ausdruck der Müdigkeit. Weil wir uns unbewusst in dessen Lage versetzen können, zeigen wir eine Reaktion: Wir lassen uns anstecken. Für diese soziale Komponente des Gähnens spricht auch, dass sich Menschen, Schimpansen, Bonobos und Hunde immer dann besonders gut vom Gähnen anstecken lassen, wenn sie ihr Gegenüber persönlich kennen. „Die menschliche Empathie ist sogar flexibel genug, um Fremde und selbst andere Arten mit einzubeziehen“, erklären Matthew Campbell vom Yerkes National Primate Research Center in Lawrenceville und seine Kollegen. Wir lassen uns auch anstecken, wenn wir einem Menschenaffen beim Gähne zusehen. Umgekehrt beginnen auch Hunde zu Gähnen, wenn ihr Herrchen oder Frauchen – und selbst ein ihnen fremder Mensch – dies tut.

Ob allerdings auch Schimpansen eine solche artübergreifende Empathie besitzen, war bisher unklar. Campbell und seine Kollegen haben dies daher nun im Experiment getestet. Dafür zeigten sie 19 erwachsenen Schimpansen, die in zwei Gruppen auf dem Gelände des Primatenzentrums leben, jeweils sechs unterschiedliche Videos. In diesen war entweder ein ihnen bekannter Mensch zu sehen, der gähnte oder neutral schaute, ein unbekannter Mensch, der das gleiche tat oder aber ein gähnender oder nicht gähnender Pavian. Jeder Schimpanse bekam jedes Video einmal zu sehen, eine Videokamera fing dabei ihre Reaktion darauf ein. Diese Reaktionen verglichen die Forscher dann zusätzlich mit den Ergebnissen eines früheren Tests, bei dem sie geprüft hatten, wie stark sich die Schimpansen von bekannten oder unbekannten Artgenossen anstecken lassen.

Mensch steckt stärker an als ein fremder Artgenosse

Das Ergebnis: Das menschliche Gähnen wirkte auch auf die Schimpansen prompt: Egal ob die Person ein vertrauter Pfleger oder ein völlig Unbekannter war – sobald die Menschenaffen einen gähnenden Menschen vor sich sahen, begannen sie auch damit. Das belegt, dass nicht nur der Mensch oder Hund, sondern auch der Schimpanse die Fähigkeit besitzt, artübergreifend empathisch zu reagieren. Allerdings klappt das nicht bei jeder fremden Art: Von den Pavianvideos blieben die Schimpansen völlig ungerührt, bei ihnen klappte die Gähn-Ansteckung nicht. „Schimpansen müssen demnach nicht jedes gähnende Individuum kennen, um sich anstecken zu lassen – aber die Gähner müssen zu einer Art gehören, mit denen die Schimpansen häufiger soziale Kontakte haben“, schlussfolgern die Forscher. Pavianen begegnen die Menschenaffen im Freiland nur selten, die im Primatenzentrum lebenden Tiere hatten meist noch nie einen dieser Affen zu Gesicht bekommen.

Überraschend aber war ein weiteres Ergebnis: Das menschliche Gähnen wirkte auf die Schimpansen genauso stark wie das eines Familienmitglieds oder sehr vertrauten Gruppenmitglieds. Es war damit deutlich ansteckender als das von unbekannten Artgenossen. Denn auf diese reagierten die Schimpansen in vorhergehenden Tests so gut wie nie. Auch hier haben die Forscher eine naheliegende Erklärung: Unter normalen Bedingungen leben Schimpansen in einer festgefügten Gemeinschaft. Fremde Schimpansen bedeuten für diese Gruppe meist Ärger, schlimmstenfalls Kampf und Aggression. „Auf Fremde reagieren sie daher immer feindlich“, erklären die Forscher.

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Und diese instinktive Feindschaft könnte dafür sorgen, dass die Gähnansteckung bei unbekannten Artgenossen nicht funktioniert: Die Empathie der Schimpansen wird durch die feindliche Reaktion aktiv unterdrückt. Dem Menschen dagegen stehen die Schimpansen im Primatenzentrum eher positiv gegenüber. Denn diesen verbinden sie mit etwas Angenehmem – Futter, Spiele und Krauleinheiten. Entsprechend ausgeprägt ist auch ihre empathische Reaktion.

Nach Ansicht der Forscher bestätigt dies, dass das ansteckende Gähnen ein Ausdruck der Empathie ist und durch soziale Faktoren beeinflusst wird. Wie bei anderen Formen der Empathie spielt es eben eine wichtige Rolle, wen man erblickt. „Der Ansteckungseffekt beim Gähnen ist damit mehr als nur ein Reflex, er ist Ausdruck eines flexiblen sozialen Engagements“, so Campbell und seine Kollegen.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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