Der Mensch und viele Tierarten können fünf Geschmacksrichtungen unterscheiden: salzig, sauer, bitter, süß und umami – ein fleischig-herzhafter Geschmack, der auf der Wahrnehmung von Eiweißstoffen basiert. Verantwortlich für diese Sinneseindrücke sind spezielle Rezeptoren, die auf die jeweiligen Stoffe in der Nahrung reagieren. Ursprünglich ging man davon aus, dass auch Vögel diese Rezeptoren für die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen besitzen. Doch die Sequenzierung des Genoms des Huhns offenbarte, dass dies nicht der Fall zu sein scheint: Es wurden keine Gene für die Ausbildung des bekannten Süß-Rezeptors gefunden und auch bei anderen Vogelarten fehlt jede Spur der entsprechenden Erbanlagen.
Federvieh müsste demnach eigentlich blind gegenüber zuckrigem Geschmack sein. Doch für Kolibris gilt das offenbar definitiv nicht, belegen die Untersuchungen der Forscher um Maude Baldwin von der Harvard University in Cambridge. Versuche an einer künstlichen „Verkostungs-Bar“ für Kolibris zeigten: Süßes schlürfen die schwirrenden Gäste gern – fehlt diese Geschmacksrichtung einer Flüssigkeit hingegen, spucken sie diese wieder aus. So kamen die Forscher zu der Vermutung, dass ein anderer Geschmacksrezeptor vielleicht die Funktion des fehlenden Süß-Sensors übernommen haben könnte.
Der Geschmackssinn hat sich angepasst
Um dieser Frage nachzugehen, isolierten sie mit gentechnischen Methoden die Gene der verschiedenen Geschmacksrezeptoren von Hühnern und Kolibris und übertrugen sie in Zellkulturen. So konnten die Forscher im Labor große Mengen der unterschiedlichen Rezeptoren produzieren und testen. Dabei zeigte sich: Der eigentlich für Umami zuständige Geschmacks-Sensor der Kolibris reagierte auf Zucker. Bei der Hühner-Version war das hingegen nicht der Fall – sie reagierte nur auf Eiweißstoffe, wie es zu erwarten wäre. Den Forschern zufolge bedeutet das: Bei den Kolibris hat sich der Umami-Rezeptor in einen Süß-Sensor verwandelt.
„Damit haben wir erstmals gezeigt, dass auch ein Umami-Rezeptor auf Kohlenhydrate reagieren kann“, konstatiert Baldwin. Sein Co-Autor Stephen Liberles von der Harvard Medical School in Boston ergänzt: „Es handelt sich um ein ausgesprochen schönes Beispiel, wie sich Arten auf der molekularen Ebene verändern können, um sich an komplexe Verhaltensweisen anzupassen“. Das ermöglichte es den Kolibris, sich im Laufe ihrer Evolutionsgeschichte Nahrungsquellen zu erschließen, die anderen Vogelarten nicht zugänglich waren.