Spinnen haben eine ungewöhnliche Art der Kopulation. Denn die Männchen übertragen ihre Spermien nicht mit einem Penis oder anderem direkten Geschlechtsorgan, sondern nutzen die Spitze eines zu Tastern umgewandelten Beinpaares dafür. Diese Pedipalpen sind bei den Spinnenmännchen vorne Boxhandschuh-artig zum sogenannten Palpalorgan verdickt und enthalten Drüsen für ein Paarungssekret und einen Hohlraum für die Spermien. Diese werden aber nicht vor Ort produziert, sondern von den am Hinterleib liegenden Geschlechtsorganen erst nachträglich mit dem Palpalorgan aufgenommen. Bei der Paarung nutzt das Männchen die Spitze dieses umfunktionierten Tasters, um Spermien und Flüssigkeit in die Geschlechtsöffnung des Weibchens zu applizieren. Das Seltsame daran: Obwohl dies einiges an Feingefühl erfordert, war es Biologen bisher nie gelungen, irgendwelche Nerven oder Sinneszellen in dem Palpalorgan zu finden. „Deshalb dachte man, dass die Kopulationsorgane der Spinnenmännchen gefühllos und äußeren Reizen gegenüber blind ist“, erklären Elisabeth Lipke von der Universität Greifswald und ihre Kollegen.
Ein Nerv und zwei Neuronenhaufen
Diese Annahme haben die Forscher nun bei der tasmanischen Höhlenspinne Hickmania troglodytes überprüft – mit überraschendem Ergebnis. Denn als sie die Männchen dieser Art mit Hilfe der Mikro-Computertomografie und Feinstrukturanalysen näher analysierten, stießen sie sehr wohl auf Nervengewebe. Neben einem Nerv, der bis in das Palpalorgan reicht, fanden sich darin auch gleich zwei Ansammlungen von Nervenzellen, wie die Forscher berichten. Eine davon liegt in der Spitze des Kopulationsorgans – in genau dem Teil, der in das Geschlechtsorgan des Weibchens manövriert wird. Der andere Nervenzellhaufen liegt am Ende des Ganges, in dem die Spermien aufbewahrt und übertragen werden. In seinem Umfeld konnten die Biologen sogar Neurotransmitter nachweisen. „Damit liefern unsere Daten den ersten Beleg für die Existenz von neuronalem Gewebe im Kopulationsorgan des Spinnenmännchens“, sagen Lipke und ihre Kollegen.
„Das aber spricht dafür, dass diese Organe des Männchens keineswegs gefühlstaub sind, sondern dass Sinnesreize durchaus eine wichtige Rolle bei der Kopulation spielen könnten“, so die Forscher weiter. Wie sie feststellten, sind Nervenzellen und Nerv mit der äußeren Hülle des Pedipalpen verbunden. Das könnte darauf hindeuten, dass diese Neuronen Dehnungen und Stauchungen der Kutikula spüren. „Obwohl nur die Spitze des Organs bei der Paarung in die weiblichen Genitalien eingeführt wird, übertragen sich die Spannungen und Stauchungen von der Kontaktfläche auf die ganze Pedipalpenspitze „, erklären Lipke und ihre Kollegen.
Damit könnten die Spinnenmännchen nicht nur ihre Palpenspitze treffsicherer in das Geschlechtsorgan der Partnerin manövrieren, möglicherweise hilft es ihnen sogar dabei, den Sex angenehmer zu gestalten: „Ein sensibles Palpalorgan könnte beispielsweise genutzt werden, um das Weibchen zum Vorteil des Männchen zu stimulieren“, so die Forscher.
Weil viele Spinnenweibchen alles andere als geduldige und friedfertige Genossinnen sind, könnte diese Stimulation dem Männchen unter Umständen sogar das Leben retten. Alternativ wäre aber auch denkbar, dass die Spinnen die neuentdeckten Sinnesorgane nutzen, um zu registrieren, ob ihnen ein Rivale zuvorgekommen ist, mutmaßen die Forscher. Wenn dieser beispielsweise die Genitalien des Weibchens mit einem Schleimpfropf gesichert hat, könnte das nachfolgende Spinnenmännchen dies vielleicht erspüren und dann eine speziell zusammengesetzt Paarungsflüssigkeit übertragen. Das aber sind bisher alles Spekulationen. Was das Spinnenmännchen beim Sex wirklich spürt und warum, bleibt damit vorerst sein Geheimnis.