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Dem Aussatz auf der Spur

Erde|Umwelt

Dem Aussatz auf der Spur
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Schadel eines mittelalterlichen Leprakranken. Image © Ben Krause-Kyora
Sie verhüllten ihre entstellten Körper mit Bandagen, mussten eine Warn-Glocke tragen und waren aus der Gesellschaft ausgestoßen: Das Gespenst des Aussätzigen ist immer noch tief im Gedächtnis der Europäer verankert, denn die gruseligen Gestalten gehörten einst zum Alltag im mittelalterlichen Europa. Doch das änderte sich ab dem 16. Jahrhundert drastisch: Die vormals weit verbreitete Erkrankung verschwand zunehmend. Warum, war bisher unklar. Ein internationales Forscherteam hat nun untersucht, ob eine genetische Veränderung des Erregers der Lepra zum Verlust seiner Infektionskraft geführt haben könnte. Den Ergebnissen zufolge war dies aber nicht der Fall. Vermutlich war es wohl eher die Ausbildung von Resistenzen in der Bevölkerung, die für den Rückgang der Lepra verantwortlich war.

ei der Lepra handelt es sich um eine Infektionskrankheit, die durch den Erreger
Mycobacterium leprae verursacht wird. Der Verlauf der Erkrankung kann sich über viele Jahre erstrecken. Im fortgeschrittenen Stadium verbreiten sich die Bakterien dann im ganzen Körper. Besonders in der Haut löst dies die Bildung von Knoten und Flecken aus. Im Gesicht verschmelzen diese oft zu einem sogenannten „Löwengesicht“, das die Betroffenen grausam entstellt. Im weiteren Verlauf können außerdem Geschwüre entstehen, die Knochen, Muskeln und andere Organe zerfallen lassen. Die Betroffenen verlieren meist auch das Gefühl für Kälte, Wärme und Schmerz. Dadurch verletzen sie sich oft unbemerkt oder Wunden bleiben unbehandelt, was zum Absterben von Gewebe führen kann. Daher stammt auch die Vorstellung, Lepra würde zum Abfallen von Körperteilen führen.

Der Weltgesundheitsorganisation zufolge sind heutzutage noch etwa 200.000 Menschen von der Erkrankung betroffen, was aber vor allem auf mangelnde Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern zurückzuführen ist. Denn eigentlich ist Lepra heute durch Antibiotika gut behandelbar.Die mittelalterliche Medizin stand dem Leiden dagegen hilflos gegenüber. Schätzungen zufolge gab es in einigen Teilen Europas unter 30 Menschen durchschnittlich einen Leprakranken. Um herauszufinden, warum diese Zahlen ab dem 16. Jahrhundert so stark sanken, haben sich die Wissenschaftler jetzt auf Spurensuche in mittelalterlichen Gräbern gemacht. Sie exhumierten Leichen von Leprakranken und gewannen aus ihnen die Überreste der historischen Lepra-Erreger. Mit aufwendigen genetischen Methoden konnten sie den genetischen Code dieser mittelalterlichen Versionen von M. leprae entschlüsseln und anschließend mit heutigen Stämmen des Erregers vergleichen.

Die Europäer passten sich an die Plage an

Die Ergebnisse waren eindeutig: Das Erbgut der mittelalterlichen Stämme ist mit dem der heutigen noch immer so gut wie identisch. Demzufolge war der Rückgang der Lepra-Erkrankungen nicht darauf zurückzuführen, dass M. leprae sich in eine weniger schädliche Form verwandelt hatte, schließen die Forscher. „Wenn nicht der Erreger, war es wohl der Wirt, der sich damals veränderte“, schlussfolgert daher Stewart Cole, einer der beteiligten Wissenschaftler vom Global Health EFFL Institut in Lausanne. „Dieser Spur wollen wir nun auch weiter nachgehen“.

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Den Forschern zufolge waren im Mittelalter alle Voraussetzungen für eine natürliche Selektion bezüglich Widerstandskraft gegenüber Lepra vorhanden: Die Lepra war weit verbreitet, und Erkrankte wurden konsequent isoliert. Somit wurden Menschen mit einer genetisch bedingten Anfälligkeit für Lepra an der Fortpflanzung gehindert, und die Widerstandskraft in der Gesamtbevölkerung stieg. Cole zufolge gibt es auch bereits Hinweise aus anderen Studien, dass Europäer im Vergleich zu Menschen aus anderen Teilen der Welt widerstandsfähiger gegenüber Infektionen durch M. leprae sind. Diesem Ansatzpunkt wollen die Forscher nun auch in weiteren Untersuchungen nachgehen. Studien dieser Art seien nicht nur aus historischer Sicht interessant, sie leisten darüber hinaus auch einen Beitrag zum besseren Verständnis, wie sich Erreger-Mensch-Verhältnisse entwickeln können, sagen die Wissenschaftler.

Verena Schuenemann (University of Tübingen) et al.: Science, doi: 10.1126/science.1238286 © wissenschaft.de – Martin Vieweg
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