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Die Reise im Ei

Erde|Umwelt

Die Reise im Ei
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Kann schon als Embryo zwischen warm und kalt unterscheiden: die Chinesische Dreikielschildkröte (Chinemys reevesii).
Schildkröten-Babys machen es sich noch im Ei möglichst bequem und kuschelig, haben chinesische Forscher entdeckt: Wird es an einer Seite ihrer Behausung zu kalt oder auch zu warm, bewegen sie sich in Richtung angenehmerer Temperaturen auf die andere Ei-Seite. Die kleinen Reptilien wollen damit allerdings nicht nur ihr Wohlbefinden verbessern: Die Reise im Ei kann unter Umständen überlebenswichtig sein. Und wer kann zudem von sich behaupten, bei der Festlegung des eigenen Geschlechts ein Wörtchen mitgeredet zu haben?

Schildkröten sind ektotherm, das heißt, sie regulieren ihre Körpertemperatur nicht über Energie aus Stoffwechselprozessen, sondern mit Hilfe der Außentemperatur. Morgens beispielsweise suchen sie sich häufig ein besonders sonniges Plätzchen, um Energie für den Tagesstart zu tanken. Mittags wechseln sie dann eher zwischen Sonne und Schatten hin und her, um eine möglichst gleichmäßige Körpertemperatur zu erreichen. Kühlen sie nämlich zu stark aus, können sie sich nicht mehr gut bewegen und sind Feinden hilflos ausgeliefert. Auf der anderen Seite ist es auch nicht gesund, eine zu hohe Körpertemperatur zu entwickeln – die kann im Extremfall sogar tödlich werden.

Früh übt sich, wer später genug Energie haben will

Überraschenderweise lernen die Schildkröten diese Form der Körpertemperatur-Regulierung durch bestimmte Verhaltensweisen offenbar nicht erst, wenn sie auf der Welt sind, sondern möglicherweise schon vorher, hatte vor zwei Jahren eine Studie mit Weichschildkröten nahegelegt. Dabei hatten Forscher beobachtet, dass sich ungeborene Schildkröten bereits im Ei bewegen und es sie anscheinend immer in Richtung einer Wärmequelle zieht. Ob das aber tatsächlich eine gezielte Bewegung ist oder ob vielleicht physikalische Veränderungen im Ei hinter dieser Beobachtung stehen, blieb bisher unklar. So wäre beispielsweise möglich, dass sich durch die Temperaturunterschiede die Viskosität der Flüssigkeiten innerhalb des Eis verändern und die Mini-Schildkröten durch darauf zurückgehende Strömungen hin und her driften.

Um das zu klären, untersuchten die chinesischen Forscher nun Chinesische Dreikielschildkröten ( Chinemys reevesii), eine zu den Sumpfschildkröten gehörende Art, die kleine Seen und Tümpel in Asien bewohnt. Insgesamt 125 Eier der kleinen Reptilien standen den Wissenschaftlern dabei zur Verfügung, die sie je eine Woche lang unterschiedlich behandelten: Einige wurden dauerhaft bei 26 Grad Celsius, der optimalen Wohlfühltemperatur für die Schildkröten, gelagert, bei anderen platzierten die Forscher Wärmequellen am Ei. Befanden sie sich auf der Breitseite, erwärmten sich die Eier gleichmäßig auf 29 Grad. Waren sie dagegen an einem Ende positioniert, heizte sich diese Seite stärker auf als die andere – Zieltemperaturen waren 29, 30 und kritische 33 Grad Celsius –, was insgesamt ein Temperaturgefälle im Ei erzeugte.

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Nichts wie hin zur Wärmequelle!

Anschließend beobachteten die Biologen mit Hilfe einer Lichtquelle hinter dem Ei, wo sich der Embryo zu Beginn der Studie befand und wo er sich nach einer Woche Inkubationszeit platziert hatte. Zum Vergleich nahmen die Forscher zudem einige Eier in den Versuch auf, die tote Embryonen beherbergten. Das Ergebnis: War das Ei gleichmäßig warm, blieben die kleinen Schildkröten, wo sie waren. Wurde das eine Ende des Eis dagegen auf 29 oder 30 Grad erwärmt, bewegten sie sich auf diese Seite zu – und legten dabei immerhin bis zu 3,5 Millimeter zurück, was bei einer Gesamtlänge des Eis von etwa 35 Millimetern durchaus beachtlich ist.

Besonders interessant fanden die Forscher jedoch das Verhalten der Ungeborenen, wenn die Temperatur auf 33 Grad erhöht wurde – eine Schwelle, die auch in der Natur als kritisch gilt und bei der nicht viele Schildkrötenbabys überleben: In diesem Fall bewegten sich die Winzlinge nicht auf die Wärmequelle zu, sondern davon weg. Sie vermeiden also aktiv sowohl zu kühle als auch zu warme Bereiche im Ei, schlussfolgert das Team. Die toten Tiere bewegten sich übrigens gar nicht – nach Ansicht der Forscher ein klarer Hinweis darauf, dass es sich wirklich um ein gezieltes, aktives Verhalten handelt und nicht um einen physikalischen Effekt.

Wichtig für die Großen, absolut spielentscheidend für die Kleinen

Diese Strategie ergibt absolut Sinn, kommentiert das Team. Denn so sehr die erwachsenen Tiere auf eine gute Wärmeregulation angewiesen sind – für die Ungeborenen ist sie noch wichtiger. Denn die Temperatur bestimmt nicht nur, wie gut sich der Embryo entwickelt, wie schnell er wächst und wie gut seine Bewegungsfähigkeit später ausgebildet ist, sondern auch sein Geschlecht. Dabei genügen schon ein bis zwei Grad, um den Unterschied zwischen einem Männchen und einem Weibchen auszumachen. Im Test betrug das Temperaturgefälle bis zu 1,6 Grad – also bereits absolut ausreichend für eine Geschlechtsbestimmung.

Man müsse sich also möglicherweise mit der Vorstellung vertraut machen, dass die Embryonen selbst ihr Geschlecht mitbestimmen, indem sie gezielt bestimmte Temperaturbereiche im Ei aufsuchen, merken die Forscher an. Bisher hatte man angenommen, dass ausschließlich die Mütter das Geschlechterverhältnis prägen, und zwar durch die Wahl des Nestplatzes und der dort herrschenden Temperaturen. Eine Frage bleibt allerdings noch offen: Wie genau die Kleinen sich in ihrem Ei bewegen, ist völlig unklar – ihr Bewegungsapparat ist nach bisherigem Wissen im untersuchten Stadium noch gar nicht ausreichend entwickelt, um derartige Strecken zurückzulegen.

Bo Zhao (Chinese Academy of Sciences, Beijing) et al.: Journal of the Royal Society: Biology Letters, doi: 10.1098/rsbl.2013.0337 © wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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