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Amphibische Wiederauferstehung

Erde|Umwelt

Amphibische Wiederauferstehung
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Ein lebendes Fossil: Der schwarzbäuchige Scheibenzüngler (Bild: Frank Glaw)
Amphibien gehören weltweit zu der Tiergruppe, die am stärksten durch Klimawandel, Krankheiten und den Verlust ihrer Lebensräume bedroht sind. Dass sie aber manchmal auch unter den widrigsten Umständen überleben können – und dies quasi inkognito -, zeigt ein erstaunliches Beispiel aus Israel. Am dortigen Hulesee haben Forscher vor zwei Jahren einen Frosch wiederentdeckt, der gut 50 Jahre lang als ausgestorben galt. Sein Lebensraum war bis auf einen kleinen Rest fast vollständig ausgetrocknet. Jetzt zeigt sich: Der schwarzbäuchige Scheibenzüngler hat nicht nur die letzten Jahrzehnte überlebt, er ist sogar ein echtes lebendes Fossil. Denn DNA-Analysen belegen, dass er der letzte Überlebende einer Froschgruppe ist, die seit rund einer Million Jahren als ausgestorben galt.

Der schwarzbäuchige Scheibenzüngler Discoglossus nigriventer hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Dass es ihn überhaupt gibt, stellte man erst in den 1940er Jahren fest, als Forscher zwei ausgewachsene Exemplare und zwei Kaulquappen in einem Feuchtgebiet am Ostrand des Hulesees in Israel fanden. Der rund acht Zentimeter lange Frosch galt damals schon als extrem selten, man nahm an, dass er ausschließlich an diesem einen See vorkommt. 1955 dann, bei Entwässerungsarbeiten im Feuchtgebiet, wurde das vermeintlich allerletzte Exemplar dieser Art gesichtet. Die Weltnaturschutzunion IUCN zog die Konsequenzen und erklärte diesen Frosch im Jahr 1996 für offiziell ausgestorben – als erste Amphibienart überhaupt. Er galt fortan als Symbol für die Bedrohung der Amphibien weltweit und für das Artensterben in Israel.

Überraschender Fund zur Mittagszeit

Im Oktober 2011 dann die erste Überraschung: Eine Routinepatrouille im mittlerweile zum Naturschutzgebiet erklärten Hulesee-Gebiet stieß auf ein adultes Froschmännchen, das dem ausgestorbenen Scheibenzüngler verblüffend ähnelte. Das Tier saß mitten am Tag neben einem kleinen Tümpel, wie Rebecca Biton von der Hebräischen Universität Jerusalem und ihre Kollegen berichten. Bei näheren Untersuchungen stellte sich heraus, dass es sich tatsächlich um die totgeglaubte Froschart handelte. Im gleichen Gebiet sichteten die Forscher kurze Zeit später noch zehn weitere lebende Exemplare – offenbar hatte der Scheibenzüngler doch überlebt.

Um ganz sicherzugehen, dass es sich tatsächlich um Discoglossus nigriventer handelte, haben Biton und ihre Kollegen nun in ihrer aktuellen Studie einigen der neu aufgefundenen Frösche Gewebeproben entnommen und daraus die DNA dieser Spezies isoliert. Diese verglichen sie mit Proben anderer Arten aus der Gattung Discoglossus und weiteren entfernter verwandten Froschspezies. Außerdem unterzogen sie auch die Anatomie dieser Art nochmals einer genauen Analyse mittels Mikrotomografie und verglichen sie mit einigen modernen und fossilen Vertretern ähnlicher Frösche.

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Ein klarer Fall von falscher Identität

Prompt folgte die zweite Überraschung: Denn offenbar war der schwarzbäuchige Scheibenzüngler von Anfang an falsch eingeordnet worden, wie die Forscher berichten. Sowohl das Erbgut als auch einige Merkmale im Körperbau sprechen dafür, dass dieser Frosch keineswegs zur Gattung Discoglossus gehört wie bisher angenommen. “Stattdessen ist er der einzige noch lebende Vertreter der fossilen Gattung Latonia – mit anderen Worten: ein lebendes Fossil”, so Biton und ihre Kollegen. Diese Frösche waren vor rund 20 Millionen Jahren in Europa und im Nahen Osten weit verbreitet, wie Fossilfunde belegen. Vor rund einer Million Jahren aber verschwand Latonia abrupt. Es seien von dieser Zeit an keine Fossilien dieser Gattung mehr in den Sedimentgesteinen gefunden worden. Möglicherweise habe eine damals stattfindende Abkühlung und zunehmende Vergletscherung des Kontinents das Aussterben der Latonia-Arten ausgelöst, mutmaßen die Forscher.

Jetzt aber zeigt sich, dass zumindest ein Vertreter dieser vermeintlich verschwundenen Urzeit-Frösche doch überlebt hat: der totgeglaubte schwarzbäuchige Scheibenzüngler. Er erhält daher nun den Namen Latonia nigriventer. “Das Überleben dieses lebenden Fossils zeigt, wie widerstandsfähig einige Amphibien sein können, selbst wenn ihr Lebensraum fast vollständig zerstört wird”, konstatieren Biton und ihre Kollegen. Gleichzeitig mache es die wenigen noch existierenden Exemplare dieser Art noch wertvoller und schützenswerter. Immerhin könnte den Fröschen, die bis heute am halb ausgetrockneten Hulesee durchgehalten haben, eine etwas bessere Zukunft bevorstehen. Denn es gibt Pläne, zumindest einen Teil des Huletals wieder zu fluten, um das Feuchtgebiet zu erhalten – und mit ihm seine einzigartigen Bewohner.

Rebecca Biton (Hebrew University Jerusalem) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/ncomms2959 © wissenschaft.de – ===Nadja Podbregar
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