In einem ersten Schritt untersuchten die Forscher noch einmal den Aufbau der Zunge. Dabei stellten sie fest, dass Arterien und Venen in ihrem Inneren ein sich zur Spitze hin verästelndes Netz bilden, das sich bis in die Basis der Borsten hineinzieht. Die zuführenden Arterien sind zudem von Muskelfasern umgeben und stehen in direktem Kontakt zu den Zungennerven.
Blutrot und borstig
Um herauszufinden, welchem Zweck diese anatomische Konstruktion dient, machten die Wissenschaftler mit Hilfe einer High-Speed-Kamera Nahaufnahmen der Fledermäuse beim Nektartrinken. Dabei zeigte sich: Die Zunge verändert dynamisch sowohl ihre Form als auch die Farbe, wenn sie sich dem Nektar nähert. Zu Beginn des Trinkvorgangs ist sie blassrosa und alle Borsten sind eng angelegt. „Wenn die Zunge ihre maximal Ausdehnung erreicht, füllen sich die Adern darin mit Blut und sie wird dunkelrot, gleichzeitig stellen sich die Borsten auf“, berichten die Forscher. Letzteres geschehe auch dann, wenn die Zunge den Nektar nicht berühre – sei also kein passiver, durch den zähflüssigen Nektar verursachter Prozess.
Nähere Untersuchungen enthüllten, dass der Blutzustrom die Zunge zum einen länger und dünner werden lässt, und zum anderen dafür sorgt, dass sich die Borsten aufstellen. „Das ist ein hydraulischer Prozess, getrieben durch den schnellen Einstrom von Blut in die Gefäße“, so die Forscher. Das Besondere daran sei das enorme Tempo, mit dem das geschehe – denn normalerweise seien hydraulische Vorgänge sehr langsam, beispielsweise die Bewegung der Tentakel eines Seesterns. Die Fledermaus aber benötigt vom Ausstrecken der Zunge bis zu ihrem Wiedereinziehen gerade einmal 0,118 Sekunden. Sie kann daher in einer Sekunde acht Trinkzyklen absolvieren, wie Harper und ihre Kollegen berichten. Ermöglicht wird dies durch die Muskelhülle der Arterien, die aktiv dazu beiträgt, das Blut in die Zunge zu pressen.
„Kolibris, Bienen und Fledermäuse haben demnach drei unterschiedliche Systeme entwickelt, um Blütennektar effektiv aufzunehmen“, konstatieren Harper und ihre Kollegen. Zusammen könnten diese Strategien der Natur als wertvolle Vorbilder für Miniaturroboter oder chirurgische Instrumente dienen. Die Erkenntnisse werfen aber auch ein neues Licht auf andere Nektar trinkende Säugetiere wie den im Australien lebenden Honigbeutler ( Tarsipes rostratus). Auch dieses rattengroße Beuteltier besitzt eine borstenbesetzte Zunge – und könnte diesen ebenfalls als hämodynamischen Mop nutzen statt nur als passiven Pinsel, wie man bisher dachte.