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Vokales Schmatzen

Erde|Umwelt

Vokales Schmatzen
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Es klingt wie ein vermurmelter Seufzer, manchmal auch wie eine mehrsilbige Wehklage: Wenn Blutbrustpaviane Zwiesprache halten, ähnelt dies manchmal erstaunlich der menschlichen Sprache. Lautrhythmus und die Bewegungen von Mund, Rachen und Gesicht gleichen in vielem den unsrigen beim Sprechen, wie ein US-Forscher jetzt festgestellt hat. Das aber wirft ein neues Licht auch auf die Entstehung unserer Sprache: Denn auch bei unseren Vorfahren könnte ein von Lauten unterlegtes Lippenschmatzen der Vorläufer der verbalen Kommunikation gewesen sein. Die Blutbrustpaviane sind der erste Beleg dafür, dass es diese Form der Lautäußerung bei Primaten tatsächlich gibt.

Wenn es um den Ursprung unserer Sprache geht, liegt es nahe, als erstes bei den Menschenaffen zu schauen. Denn sie sind unsere nächsten Verwandten und besitzen viele Eigenschaften, die vermutlich auch unsere gemeinsamen Vorfahren teilten. Doch in punkto verbaler Kommunikation gibt es einen fundamentalen Unterschied: Das Grunzen, Rufen und Knurren der Schimpansen oder Gorillas ist meist unwillkürlich, ihre Laute eher einfach und wenig variabel. Die Bewegungen von Lippen und Rachen sind zudem viel zu langsam und unkoordiniert, um zahlreiche verschiedene Worte und Silben formen zu können. „Unter anderem deshalb haben Forscher bei anderen Formen der Kommunikation nach den Vorläufern unserer Sprache gesucht“, erklärt Thore Bergman von der University of Michigan in Ann Arbor.

Schmatzen statt Rufen?

Ein heiß diskutierter Kandidat ist das sogenannte Lippenschmatzen vieler Affenarten. Dabei stoßen sie Luft aus und bewegen schnell die Lippen und den Rachen. Es ertönt ein leises „p-p-p-p“, bei den Schimpansen manchmal auch eine Art Prusten. Spannend daran: Diese Laute sind im Gegensatz zu den Rufen willkürlich, sie werden bewusst gesteuert. Und: Der Rhythmus dieses Schmatzens ähnelt sehr stark demjenigen, mit dem die Silben vieler menschlicher Sprachen geäußert werden. Diese Merkmale sprechen durchaus dafür, dass sich unsere Sprache möglicherweise einst aus einem solchen Schmatzen entwickelt hat. Allerdings gibt es da einen Haken: Das Schmatzen ist tonlos, in allen bisher bekannten Beispielen waren Kehlkopf und Stimmbänder nicht an dieser Lautäußerung beteiligt. Um die Vielfalt der menschlichen Laute hervorzubringen, ist aber beides nötig: komplexe Lippen- und Rachenbewegungen und hörbare Töne.

Ein erstes Beispiel für genau diese Kombination hat nun Thore Bergman von der University of Michigan in Ann Arbor in einer entlegenen Gebirgsregion Äthiopiens entdeckt. Seit 2006 untersucht er dort das Verhalten der auch als Dschelada bekannten Blutbrustpaviane ( Theropithecus gelada). Bei seinen Beobachtungen fielen ihm immer wieder die seltsamen Laute dieser Affen auf: „Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich mich umdrehte um zu sehen, wer mich da angesprochen hatte – aber es waren nur die Dscheladas“, erinnert er sich. Vor allem die Männchen äußerten ab und zu schnelle, von Lippenbewegungen begleitete Lautfolgen, die verblüffend menschlich klangen. Bergman hat seither diese als „wobble“ bezeichneten Laute genauer analysiert – und dabei auch auf den zweiten Blick einige Parallelen zur menschlichen Sprache entdeckt.

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Analogie zur menschlichen Sprache

Die Wobble-Laute der Dscheladas folgen einem Rhythmus von sechs bis neun Hertz und ähneln damit sehr dem typischen Tempo unserer Silbenabfolgen. Meist folgen dabei bis zu fünf „Silben“ hintereinander. Die Dscheladas begleiten ihre Laute zudem mit komplexen Bewegungen der Lippen, des Mundraums und des Rachens. „Die sprachähnliche Periodizität des Wobbles stellt eine vielversprechende Analogie zur menschlichen Sprache dar“, konstatiert Bergmann. Sowohl dieser Rhythmus als auch die begleitenden Bewegungen von Mund- und Rachenraum seien notwendige Voraussetzungen für die Sprachentwicklung auch unserer Vorfahren.

Und auch in ihrer Funktion ähneln die Laute der Blutbrustpaviane unserer verbalen Kommunikation, wie der Forscher erklärt: Denn die Dschelada-Männchen nutzen das Wobbeln vor allem dann, wenn sie sich in engem Kontakt mit befreundeten Weibchen befinden. Bergman vergleicht dies mit dem leisen Small Talk, durch den Freunde ihre Beziehung festigen. „Sprache ist schließlich nicht nur ein Werkzeug, um Informationen auszutauschen, sie hat auch eine soziale Funktion“, so der Forscher. Allerdings, so räumt er ein, bedeuten all diese Parallelen nicht, dass sich unsere Sprache tatsächlich genau auf diese Weise und aus solchen Vorgängern entwickelt haben muss. Sie zeigten aber, dass es grundsätzlich möglich wäre.

Thore Bergman (University of Michigan, Ann Arbor), Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2013.02.038 © wissenschaft.de – ===Nadja Podbregar
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