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Zweite Chance für brasilianische Träume?

Erde|Umwelt

Zweite Chance für brasilianische Träume?
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20 Jahre nach dem als Meilenstein der internationalen Umweltpolitik gefeierten Erdgipfel in Rio de Janeiro blicken diejenigen, die sich um die Zukunft unseres Planeten sorgen, ein weiteres Mal gespannt auf die brasilianische Metropole: Vom 20. bis zum 22. Juni tagen dort Vertreter von mehr als 100 Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen. Sie versuchen Wege zu finden, wie sich auf globaler Ebene langfristig erfolgreich wirtschaften lässt, ohne dabei unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören. 1992 hatte man sich diesbezüglich hohe Ziele gesetzt, die jedoch größtenteils an der Umsetzung scheiterten. Was ist aus den großen Worten von 1992 geworden und wie kann es gelingen, dass auf dem aktuellen Gipfel mehr herauskommt als nur eine Menge heißer Luft? Eine Bilanz und ein Ausblick.

Rio de Janeiro, im Juni 1992: Vertreter von 108 Regierungen treffen sich in der brasilianischen Metropole und diskutieren, wie es weitergehen soll mit uns und der Welt. Am Ende verabschieden sie die ?Agenda 21?, ein Leitpapier zur nachhaltigen Entwicklung mit dem Ziel, die drei Kriterien Ökologie, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit langfristig besser in Einklang zu bringen. Darüber hinaus erklären sie in der ?Rio-Deklaration zu Umwelt und Entwicklung? die Absicht, Lebensräume und ihre Bewohner künftig besser zu schützen. Als vielleicht wichtigstes Ergebnis verabschieden die Teilnehmer des ersten Erdgipfels Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen und Biodiversität. Die dazugehörigen Sekretariate in Bonn und Montreal sollen für die Umsetzung der erklärten Ziele sorgen.

Rio de Janeiro, im Juni 2012: Wieder versammeln sich viele Tausend Delegierte von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen sowie Vertreter aus der Privatwirtschaft am Zuckerhut um zu klären, wie sich auf globaler Ebene ein nachhaltiges Wirtschaften organisieren lässt. Außerhalb der Konferenzräume hungern weltweit immer noch fast eine Milliarde Menschen, und das Artensterben geht ungebremst voran. Gab es denn trotz des Erfolg versprechenden Startschusses in Rio in den vergangenen 20 Jahren überhaupt keinen Fortschritt in den zentralen Bereichen ?Biodiversität? und ?Nachhaltigkeit?, die als Schlagworte aus der damaligen Konferenz hervorgingen?

Mit einem so harten Urteil tut man internationalen Umweltorganisationen, Politikern und Wissenschaftlern sicherlich Unrecht, denn zweifellos hat man an vielen Stellen hart gearbeitet an dem Mammutprojekt, die Welt zu retten. Und in Sachen Biodiversität hat sich – basierend auf den Ergebnissen intensivierter Forschung – in den letzten Jahren zumindest einen Mentalitätswandel ergeben.

Unter dem Begriff Biodiversität verstehen Ökologen die Vielfalt des Lebens, was die genetische Vielfalt sowie die Vielfalt auf der Ebene der Arten und ihrer Funktionen für den jeweiligen Lebensraum mit einschließt. Den aktuellen Konsens in der Biodiversitätsforschung beschreiben 17 prominente Ökologen in einem vergangene Woche im Wissenschaftsjournal ?Nature? veröffentlichten Review. Der Artikel liefert eine Zusammenfassung von klaren Aussagen und Trends, die sich aus den Ergebnissen von mehr als 1.000 ökologischen Studien aus den vergangenen zwei Jahrzehnten herauslesen lassen. Mittlerweile, so schreiben die Autoren des Nature-Artikels, sei wissenschaftlich bewiesen, dass der Verlust der biologischen Vielfalt auf der Welt mit einem Verlust der Produktivität und der langfristigen Stabilität natürlicher Lebensräume einhergehe. Dadurch können diese der Menschheit auch weniger Güter und Leistungen zur Verfügung stellen, zum Beispiel Nahrungs- und Futtermittel, fruchtbare Böden oder einen gewissen Schutz vor der Ausbreitung von Schädlingen und Krankheitserregern. ?Übereinstimmende Stellungnahmen von Ärzten haben zu öffentlichen Warnungen geführt, dass der Verzehr von Tabak gesundheitsschädlich ist. Genau so ist dies eine übereinstimmende Stellungnahme von Experten, die sich darüber einig sind, dass der Verlust wilder Arten für die Lebensräume auf der Erde sowie für die Gesellschaft insgesamt schädlich ist, da diese Lebensräume weniger für Gesundheit und Wohlstand der Menschheit essenzielle Erzeugnisse liefern?, sagt Bradley Cardinale, Ökologie-Dozent an der University of Michigan und Erstautor des Übersichtsartikels. So sei hinreichend belegt, dass eine hohe genetische Vielfalt auf dem Acker die Erträge von Anbaupflanzen erhöhe. Für die Fangausbeute in Fischfarmen und die Holzproduktion auf Baumplantagen gelte das gleiche, schreiben die Wissenschaftler. Nach Meinung der Forscher könnten die Auswirkungen des Diversitätsverlustes auf ökologische Prozesse sogar ähnlich stark sein wie die anderer Auslöser globaler Veränderungen, etwa Dürren oder die Klimaerwärmung. ?20 Jahre und 1.000 Studien später ist endlich bewiesen, dass es stimmt, wovon die Welt 1992 in Rio ausging: Nämlich, dass die Biodiversität unsere Fähigkeit untermauert, einen Weg der nachhaltigen Entwicklung zu beschreiten?, resümiert Shahid Naeem, Coautor des Nature-Artikels.

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?Der Erdgipfel in Rio 1992 hat mehr produziert als nur heiße Luft?, sagt auch Christoph Bals. Er ist politischer Geschäftsführer der Organisation Germanwatch, die sich für globale Gerechtigkeit und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen einsetzt. Rio 2012 verfolgt er live vor Ort. Den zweiten zentralen Begriff des Gipfels ? die Nachhaltigkeit – haben sich mittlerweile zahlreiche Länder als Leitziel auf die Fahne geschrieben, meint Bals. Dies betreffe nicht nur die Zielsetzungen der Energiewende in Deutschland, sondern auch den jüngsten Fünfjahresplan in China. Diesem Plan zufolge strebt das Reich der Mitte bis 2020 an, 16 Prozent seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen zu decken und 450 Milliarden Dollar in die Müllaufbereitung zu investieren. Seit Kurzem verordnet sich auch Mexiko den Klimaschutz per Gesetz: Das Land will seine Treibhausgas-Emissionen bis 2050 um 50 Prozent senken. ?Auch im Bereich der Armutsbekämpfung würden wir ohne
globale Zielsetzungen schlechter dastehen?, sagt Bals und weist auf die großen Fortschritte hin, die in den letzten Jahren in manchen Gebieten Asiens in dieser Hinsicht erzielt wurden. Er sieht, dass viele Staaten, die sich ernsthaft in Richtung Nachhaltigkeit bewegen, dann mehr Vorteile dabei entdecken als vorher vermutet. ?Das Problem ist, dass vor allem die USA als stärkste Wirtschaftsmacht viele Teile der in Rio vorliegenden Papiere blockieren?, erklärt Bals. Aus diesem Grund setze die US-Regierung mit den Zielen für den aktuellen Nachhaltigkeitsgipfel schon von vornherein unterhalb der Grenze dessen an, was in den USA ratifizierungspflichtig wäre, und vereitle damit Versuche, ein stärkeres Abkommen durchzusetzen.

?Dies macht eine deutliche Aufwertung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) zu einer Weltumweltorganisation mit Gegengewicht zur Welthandelsorganisation, wie wir uns das wünschen würden, unmöglich?, sagt Bals. Trotzdem hofft er auf eine ? wenn auch geringere ? Aufwertung der Institutionen, die die Nachhaltigkeitsziele in den nächsten Jahren voran bringen können. Neben dem UNEP gehört hierzu beispielsweise die Kommission für Welternährungssicherheit, die ein Mandat bekommen soll, landwirtschaftliche Systeme in vielen Ländern besser zu gestalten.
Abgesehen von einer Aufwertung dieser Organisationen erhofft sich Bals Fortschritte in zwei weiteren Fragestellungen: Zum einen sei es wichtig, einen Prozess in Gang zu bringen, bei dem sowohl thematisch als auch zeitlich eingegrenzte und nachprüfbare Nachhaltigkeitsziele festgeschrieben werden. Im Unterschied zu den in der ersten Phase 2015 auslaufenden entwicklungspolitischen Millenniumszielen sollen die Nachhaltigkeitsziele sich nicht nur auf Entwicklungsländer, sondern auch auf Industrie- und Schwellenländer beziehen.
Zum anderen wünschen sich Vertreter von Umweltorganisationen wie Bals von dem Gipfel einen Paradigmenwechsel in Richtung ?Green Economy?, also hin zu einer umweltverträglicheren Weltwirtschaft. Eine grüne und faire Wirtschaft müsse die Grenzen des Planeten akzeptieren. ?Diesbezüglich ruhen im Vorfeld des Gipfels die konkretesten Hoffnungen auf dem Schutz der Meere?, erläutert Bals und bezieht sich dabei auf Pläne, im offenen Meer Schutzgebiete für die dortige Tierwelt einzurichten.

Kurz vor dem Startschuss des Gipfels wurden die Hoffnungen auf einen durchschlagenden Erfolg dadurch getrübt, dass der Gastgeber Brasilien die EU-Delegation einen Tag vor Beginn der Konferenz mit einem Abschlussdokument brüskiert hat. Dieses Dokument, das nun zur Verhandlung steht, empfinden die deutschen und viele andere europäische Gipfelteilnehmer als unzureichend. Betrüblich ist auch, dass nicht nur die deutsche Bundeskanzlerin, sondern auch US-Präsident Obama und Großbritanniens Premierminister Cameron auf dem Gipfel durch Abwesenheit glänzen werden.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, sah der Großveranstaltung zumindest bis vor einigen Tagen optimistisch entgegen. In einem Gastbeitrag für SPIEGEL ONLINE schrieb er: ?Die Konferenz ist Ausdruck einer dynamischen, weltweiten Bewegung für den Wandel. Ein großer Schritt hin zu der Zukunft, die wir wollen.? Bleibt also zu hoffen, dass Rio+20 nicht im Getöse der Fußball-EM untergeht. Denn dieser Schritt kann nur gelingen, wenn wir ihn auch alle mitgehen.

Bradley J. Cardinale (University of Michigan) et al.: Nature, doi:10.1038/nature11148 © wissenschaft.de ?Maren Emmerich
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