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Problematisches Neandertaler-Erbgut

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Problematisches Neandertaler-Erbgut
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Wir tragen sein Erbgut in uns! Credit: Michael Smeltzer, Vanderbilt University
Wir sind ein bisschen Neandertaler – das Genom der Europäer besitzt nachweislich ein paar Prozent Neandertaler-Erbgut. Eine Studie hat nun neue Hinweise geliefert, wie dieses spezielle Erbe die Biologie des heutigen Menschen beeinflusst. Die Forscher fanden Hinweise auf Verknüpfungen beispielsweise mit Hauterkrankungen, Depressionen, Suchterkrankungen und der Blutgerinnung. Möglicherweise verschaffte die Neandertaler-DNA unseren Vorfahren einst Vorteile – heute kommen hingegen die Schattenseiten dieser Erbanlagen zum Tragen, erklären die Forscher.

Die Analyse fossiler DNA aus Überresten von Neandertalern stand am Anfang: Durch die Rekonstruktion des Erbguts der archaischen Menschenform waren letztlich Vergleiche mit dem Genom heutiger Menschen möglich. So stellte sich zunächst einmal heraus: Der Neandertaler ist eigentlich gar nicht wirklich ausgestorben – er lebt in uns weiter. Vor etwa 50.000 Jahren haben sich moderne Menschen auf ihrem Weg aus Afrika nach Europa offenbar mit den Neandertalern vermischt. Davon zeugen ein paar Prozent Neandertaler-Erbgut in uns. Die Frage nach den möglichen Funktionen dieses Erbes ist nicht neu: Frühere Studien haben bereits gezeigt, dass sie mit heller Haut- und Haarfarbe verknüpft sind, mit dem Fettstoffwechsel zu tun haben und unser Immunsystem beeinflussen. Nun haben die Forscher um John Capra von der Vanderbilt University in Nashville das Spektrum noch deutlich erweitert und aufgezeigt, dass einige Neandertaler-typische Erbanlagen offenbar mit gesundheitliche Problemen verknüpft sind.

Neandertaler-DNA auf der Spur

Die Ergebnisse der Wissenschaftler basieren auf Auswertungen der Daten von insgesamt 28.000 Menschen mit europäischer Abstammung. Sie umfassten sowohl genetische als auch detaillierte medizinische Informationen über Gesundheitsprobleme beziehungsweise Erkrankungen der jeweiligen Person. Wissenschaftler nutzen solche Datenbanken bereits, um Verknüpfungen zwischen bestimmten genetischen Merkmalen und gesundheitlichen Risiken aufzudecken. Capra und seine Kollegen haben diese Vorgehensweise nun zusätzlich mit dem Faktor Neandertaler-DNA verknüpft. Konkret: Sie erfassten, welche Neandertaler-typischen Gene eine Person im Erbgut besaß und glichen diese Ergebnisse mit den medizinischen Daten ab. In der Fülle der 28.000 Probanden zeichneten sich dann statistische Auffälligkeiten ab.

„Unsere wichtigste Erkenntnis ist, dass Neandertaler-DNA tatsächlich klinische Merkmale bei modernen Menschen beeinflusst: Wir entdeckten Zusammenhänge zwischen Neandertaler-DNA und einer breiten Palette von Eigenschaften, einschließlich immunologischer, dermatologischer, neurologischer, psychiatrischer und reproduktiver Effekte“, fasst Capra zusammen. Ein deutliches Beispiel ist, dass Neandertaler-DNA die sogenannten Keratinozyten beeinflusst. Diese Zellen schützen die Haut vor Umweltschäden durch UV-Strahlung und Krankheitserreger. Eine bei der Analyse entdeckte Neandertaler-DNA-Variante beeinflusst die Funktion dieser Zellen. Sie scheint das Risiko der Entwicklung sonnenbedingter Hautläsionen zu erhöhen – der sogenannten Keratose. Ein weiteres Beispiel ist eine bestimmte Nandertaler-typische Genvariante, die das Risiko für Nikotinsucht zu erhöhen scheint. Außerdem stießen die Forscher auf Gen-Varianten, welche die Neigung zu Depressionen beeinflussen: Einige können dabei offenbar positiv und einige negativ wirken.

Warum hat sich das kritische Erbe verankert?

Vor dem Hintergrund dieser teils negativ erscheinenden Veranlagungen stellt sich die Frage, warum sie sich bis heute im menschlichen Erbgut verankert haben. Den Forschern zufolge liegt das wahrscheinlich daran, dass die Erbanlagen mehrere Effekte haben, von denen einige einst günstig für unsere Vorfahren waren. Ein plausibles Beispiel dafür sind  weitere spezielle Nandertaler-Gene, die die Forscher entdeckt haben: Sie erhöhen die Blutgerinnung. Heutzutage ist das eher problematisch: Durch eine starke Blutgerinnung können Blutgerinnsel entstehen, die zu lebensgefährlichen Infarkten oder Embolien führen können. Die verstärkte Blutgerinnung hat aber auch Vorteile: Wunden verschließen sich schneller und der Körper wird vor Infektionen geschützt. Bei unseren Vorfahren könnte dieser Vorteil wichtiger gewesen sein als die möglichen Nachteile. Sie überwiegen erst bei unserer heutigen Lebensweise. Demzufolge könnte die Neandertaler-typische starke Blutgerinnung einst ein Vorteil gewesen sein und hat sich deshalb im Erbgut festgesetzt. Den Forschern zufolge könnte dieses Prinzip auch für andere genetische Merkmale gelten, die wir unserem Vorfahren zu verdanken haben.

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Capra und seine Kollegen wollen dem Neandertaler-Erbe nun auch weiter nachgehen: Sie wollen herausfinden, was die betreffenden Genvarianten auf der molekularen Ebene auslösen. Auf diese Weise erhoffen sie sich Einblicke in die Entstehungsursachen von Erkrankungen, was letztlich eines Tages in Behandlungsstrategien münden könnte.

Originalarbeit der Forscher:

© wissenschaft.de – Martin Vieweg
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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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