Im Gegensatz zu unseren äffischen Verwandten sind wir Menschen ziemlich nackt. Denn auf einem Großteil unserer Körperoberfläche haben wir im Laufe der Evolution unser schützendes Fell verloren. Dafür allerdings scheint unser Haupthaar dieses Manko fast schon kompensieren zu wollen. Denn es ist besonders starkwüchsig und vielgestaltig. Dass für das Aussehen unserer Kopfhaare die Gene und die Vererbung eine wichtige Rolle spielen, ist schon länger bekannt – davon zeugen unter anderem familiäre Häufungen von Rotschöpfen, aber auch die auf den verschiedenen Kontinenten deutlich unterschiedlichen Haartypen. „So sind zum Beispiel Varianten in der Haarfarbe fast ausschließlich auf den Westen Eurasiens begrenzt“, erklären Kaustubh Adhikari vom University College London und seine Kollegen. Blondes, hellbraunes oder rotes Haar kommt typischerweise bei Menschen kaukasischer Herkunft vor. „Dafür ist glattes Haar in Afrika nahezu unbekannt“, so Adhikari.
Zehn Genvarianten für Haarmerkmale
Um mehr über die genetische Basis unserer Haarvarianten zu erfahren, führten die Forscher einen Genvergleich bei 6.630 Freiwilligen aus fünf lateinamerikanischen Ländern durch. Dabei untersuchten sie, ob bestimmte Eigenschaften wie lockiges Haar, frühzeitig graue Haaren oder eine bestimmte Haarfarbe mit bestimmten Genvarianten zusammenfielen. Auch ob es genetische Wurzen für über der Nase zusammengewachsene Augenbrauen, die Dichte der Brauen oder des Barts gibt, prüften die Forscher anhand der DNA-Daten. Sie wählten dabei bewusst Lateinamerika als Studienort, weil die Bevölkerung dort in Bezug auf ihre Herkunft stark gemischt ist, sie geht auf europäische, afrikanische und indianische Wurzeln zurück. „Unsere Funde waren nur möglich, weil wir einen so vielfältigen Schmelztiegel der Bevölkerungen untersucht haben – das wurde bisher in diesem Umfang noch nicht gemacht“, sagt Adhikari.
Bei ihrer Auswertung stießen die Forscher auf gleich zehn zuvor unbekannte Genvarianten, die einen Einfluss auf das Aussehen und die Form unserer Haare haben. So führt eine Genvariante dazu, dass manche Männer weniger Haarfollikel auf ihrem Kinn besitzen, als Folge bleibt ihr Bart eher dünn. Eine andere Genvariante fördert die Entwicklung von über den Augen zusammengewachsenen Augenbrauen, wie die Forscher berichten. Sie entdeckten auch ein weiteres Gen, das die Form der Haare – ob glatt oder lockig – über die Produktion eines bestimmten Enzyms beeinflusst. „Das PRSS53-Enzym wirkt in dem Teil des Haarfollikels, der die Form der wachsenden Haarfaser prägt“, erklärt Koautor Desmond Tobin von der University of Bradford. Ist dieses Gen voll ausgeprägt, sorgt es für einen gleichmäßigen Wuchs der verschiedenen Haarschichten. Ist es aber abgewandelt, wachsen diese nicht gleichmäßig und dies erzeugt die in sich gekrümmte Haarform bei Lockenköpfen.
Neue Hoffnung für früh Ergrauende?
Noch spannender aber ist eine weitere Entdeckung der Forscher: das erste Gen für graues Haar. „Wir haben bisher schon einige Gene für Haarfarben oder frühen Haarausfall identifiziert, aber dies ist das erste Mal, dass beim Menschen auch ein Gen für das Ergrauen gefunden wurde“, sagt Adhikari. Wie die Forscher feststellten, beeinflusst die Ausprägung des IRF4 getauften Gens die Entwicklung der Melanozyten im Haarfollikel. Diese Zellen produzieren Melanin-Pigmente, die in das wachsende Haar eingebaut werden und so für die Farbe sorgen. „Einige dieser Melanozyten bleiben undifferenziert und dienen als Stammzell-Reservoir, aus dem die reifen Melanozyten periodisch ergänzt werden“, erklären die Forscher. Eine bestimmte Variante dieses IRF4-Gens sorgt offenbar nicht nur für weniger Melanozyten und damit helleres Haar, es scheint auch die Überlebensdauer der Pigmentzellen zu beeinflussen. Als Folge bekommen Träger dieser Genvariante früher graue Haare. Wie genau dieser Prozess abläuft, muss allerdings noch untersucht werden.
Dennoch könnte die Identifizierung eines ersten Gens für graue Haare neue Wege eröffnen, um das frühe Ergrauen buchstäblich an der Wurzel zu verhindern. „Die Kosmetik-Industrie konzentriert sich traditionellerweise auf Produkte, die das Aussehen der Haare verändern, sobald sie die Haut verlassen“, sagen die Forscher. „Aber es besteht ein großes Interesse daran zu erkunden, ob man die Haarbeschaffenheit nicht auch schon im Haarfollikel selbst modifizieren kann.“ Statt dann graue Haare einfach zu färben, könnte man dann ihre Entstehung schon im Ansatz verhindern. Dafür allerdings muss man erst die weiteren Umstände kennen, die zusammen mit dem Gen das Ergrauen verursachen, wie Adhikari und seine Kollegen betonen: „Die Gene, die wir gefunden haben, bewirken nicht isoliert graue oder glatte Haare oder dicke Augenbrauen. Sie spielen aber eine Rolle zusammen mit vielen anderen Faktoren, die wir noch identifizieren müssen.“