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Island: „Erbgut-Selfie“ einer Nation

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Island: „Erbgut-Selfie“ einer Nation
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Die Isländer sind das Volk mit dem gläsernen Genom (thinkstock)
Die Isländer sind das genetisch am besten untersuchte Volk der Welt: Fast die Hälfte der Bewohner hat der Forschung schon vor rund zehn Jahren freiwillig DNA-Proben und Krankendaten zur Verfügung gestellt. Auf Basis dieser Proben haben Forscher nun das bisher detaillierteste genetische Portrait einer Bevölkerung erstellt. Dieses liefert wertvolle Erkenntnisse nicht nur über die Isländer, sondern auch zum menschlichen Erbgut allgemein und darüber, wie und warum Genveränderungen krank machen können.

Island ist geradezu das Paradies für Genetiker. Denn seitdem die Insel vor mehr als tausend Jahren von Wikingern besiedelt wurde, blieb die Bevölkerung weitgehend isoliert. Während im restlichen Europa die Wirren der Geschichte für ganze Völkerwanderungen sorgten, können viele Isländer ihre Familiengeschichte über viele Jahrhunderte zurückverfolgen – und tun dies oft auch mit Begeisterung. Hinzu kommt, dass die Behörden seit 1915 Krankenakten und Patientendaten zentral verwalten und speichern, dadurch ist auch die Gesundheitsgeschichte der Isländer ungewöhnlich gut dokumentiert. Zusammen schafft dies beste Voraussetzungen, um beispielsweise die genetischen Wurzeln von Krankheiten zu erforschen. Um genau dies zu tun, gründete Genetiker Kari Stefansson bereits 1996 die Firma deCODE. Mit Unterstützung vom isländischen Staat erhielt sie Einsicht in die isländischen Krankenakten und konnte 140.000 Blutproben von Isländern sammeln, die das deCODE-Projekt unterstützten.

„Mehr als ein nationales molekulares Selfie“

Gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlern aus aller Welt haben die deCODE-Forscher nun in gleich vier Veröffentlichungen Ergebnisse ihrer Genanalysen vorgestellt. Für diese sequenzierten sie das komplette Erbgut von 2.636 Bewohnern Islands und bezogen Analysen der restlichen gut 100.000 DNA-Proben mit ein. „Diese Arbeit demonstriert die einzigartige Möglichkeit, die eine solche Sequenzierung uns gibt, um mehr über die Geschichte unseres Volkes zu lernen und um neue Erkenntnisse zur Diagnose, Behandlung und Vorbeugung von Krankheiten zu gewinnen“, konstatiert Forschungsleiter Stefansson. „Es ist daher viel mehr als eine Art nationales molekulares Selfie.“

Eine wertvolle Erkenntnis betrifft die Mutationen in unserem Erbgut: Durch Kopierfehler bei der Zellteilung geschieht es immer wieder, dass einzelne Genbuchstaben verändert werden, fehlen oder verdoppelt werden. Je nachdem, wo dies im Genom geschieht, kann es folgenlos bleiben, oder aber ein ganzes Gen funktionslos machen. Wie oft letzteres beim Menschen tatsächlich passiert, konnte bisher nicht eindeutig beantwortet werden. Patrick Sulem von deCODE und seine Kollegen haben daher im Erbgut von 104.000 Isländern nach solchen „loss of function“-Mutationen gesucht. Ihr Ergebnis: Bei rund acht Prozent der Isländer ist mindestens ein Gen durch solche Mutationen außer Betrieb gesetzt. Interessant auch: Am häufigsten betroffen sind dabei Gene für die Riechrezeptoren, am seltensten dagegen Gene, die vor allem im Gehirn aktiv sind.

Y-Chromosom jünger als gedacht

Interessantes fanden die Forscher auch über das männliche Y-Chromosom heraus. Dieses wird nur von Vätern an ihre Söhne weitergegeben, Frauen tragen stattdessen zwei X-Chromosomen in ihren Zellen. Deshalb lässt sich dieses Chromosom nutzen, um beispielsweise männliche Stammeslinien zurückzuverfolgen. Durch den Vergleich der DNA-Sequenz von 753 isländischen Männern haben Agnar Helgason von deCODE und seine Kollegen nun sogar den Stammbaum des Y-Chromosoms selbst rekonstruiert. Demnach geht der genetische Code aller heute in der Welt verbreiteten Y-Chromosomen auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück, der vor rund 239.000 Jahren lebte. Die Wurzel des männlichen Geschlechtschromosoms ist damit rund 100.000 Jahre jünger als bisher angenommen.

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Auch über krankmachende Gene hat das Isländer-Erbgut einiges zutage gefördert. So identifizierten Stefansson und seine Kollegen Mutationen in einem bestimmten Gen, die das Risiko für die Alzheimer-Erkrankung deutlich erhöhen. Diese DNA-Veränderungen führen dazu, dass das ABCA7-Gen seine Funktion verliert und stellen einen bisher unbekannten Risikofaktor für die Demenzerkrankung dar. Um auszuschließen, dass es sich dabei um eine spezifisch isländische Mutationsgruppe handelt, suchten die Forscher auch im Erbgut von Menschen aus Finnland, Deutschland, Norwegen und den USA nach diesen Veränderungen – und wurden fündig. Sechs der acht Mutationen im Gen ABCA7 treten auch bei Nicht-Isländern auf, wie sie berichten. „Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass ABCA7 an der Pathogenese von Alzheimer beteiligt ist“, konstatieren die Wissenschaftler.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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