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Umstrittener Eingriff ins Embryo-Erbgut

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Umstrittener Eingriff ins Embryo-Erbgut
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Menschlicher Embryo (thinkstock)
Nicht heilbar, bestenfalls behandelbar. So lautet bis heute das Urteil für die meisten genetisch bedingten Krankheiten – von der Bluterkrankheit bis zur Chorea Huntington. Umso intensiver suchen Forscher nach Möglichkeiten, solche Gendefekte zu reparieren. Aber darf alles, was theoretisch möglich ist, auch versucht werden? Dürfen wir beispielsweise Genmanipulationen vornehmen, die nicht nur das Erbgut des Patienten, sondern auch das seiner Nachkommen für immer verändern? Eine Studie chinesischer Forscher hat nun diese Debatte wieder neu entfacht. Denn sie haben eine solche Keimbahn-Therapie an menschlichen Embryonen ausprobiert – ein Experiment, das bei uns und in vielen anderen Ländern streng verboten ist.

Noch steckt die Gentherapie in den Kinderschuhen. Die meisten Ansätze kommen über Zellkulturen oder Tierversuche nicht hinaus, weil zu viele Fehler und unerwünschte Mutationen auftreten. Aber egal ob erfolgreich oder nicht – eines haben alle bisher getesteten Gentherapien gemeinsam: Sie zielen ausschließlich auf Gendefekte in unseren Körperzellen. Das bedeutet, dass das defekte Gen nur beim Patienten selbst repariert wird. Seine Nachkommen haben dagegen weiterhin das Risiko, die gesundheitsschädliche Mutation von ihm zu erben. Anders ist dies bei der sogenannten Keimbahntherapie. Wird der Genaustausch schon beim Embryo, am besten in der befruchteten Eizelle durchgeführt, dann sind alle Zellen und Gewebe des daraus heranwachsenden Menschen genetisch repariert – auch die Spermien oder Eizellen. Das aber bedeutet: Was in der Keimbahntherapie geändert wird, wirkt sich auf alle Nachkommen des behandelten Organismus aus.

Was spricht eigentlich dagegen?

Eigentlich wäre das ja gar nicht so schlecht: Warum sollte man immer wieder mühselig und teuer bei jedem einzelnen Patienten Hunderte oder Millionen von Körperzellen behandeln, wenn die einmalige Änderung eines defekten Gens im Embryo genügt, um alle folgenden Generationen dauerhaft zu heilen? Immerhin könnte man so manche Erbkrankheiten sogar ganz aus der Welt schaffen. Das aber ist nur die halbe Wahrheit. Denn genetische Veränderungen der Keimbahn eröffnen auch Möglichkeiten zur Manipulation – beispielsweise indem man Gene einschleust, die „Designerbabys“ oder anderweitig genetisch optimierte Menschen produzieren. „Wenn man eindeutig therapeutische Keimbahn-Interventionen erlaubt, dann könnte dies auch den Weg zu nichttherapeutischen genetischen Optimierungen freimachen“, warnten Edward Lanphier, Vorsitzender der Allianz für Regenerative Medizin in Washington DC und seine Kollegen erst kürzlich im Fachmagazin „Nature“.

Hinzu kommt: Geht bei der Gentherapie etwas schief, wie es heute noch eher die Regel als die Ausnahme ist, dann hat dies bei einem Keimbahn-Eingriff Folgen über den einzelnen Betroffenen hinaus. „Aus unserer Sicht könnten Genveränderungen in menschlichen Embryos mit den heutigen Technologien unvorhersehbare Effekte auf zukünftige Generationen haben“, so Lanphier und seine Kollegen. „Dies macht solche Ansätze gefährlich und ethisch inakzeptabel.“ Unter anderem deshalb ist die Manipulation der Keimbahn in rund 40 Ländern bisher ausdrücklich verboten – auch in Deutschland. Das allerdings hindert Forscher in weniger restriktiven Ländern wie Südkorea oder China nicht daran, solche genetischen Eingriffe an menschlichen Embryonen zu erforschen.

Ein chinesischer Präzedenzfall?

Ein solcher Fall ist nun gerade veröffentlicht worden und sorgt für heftige Diskussionen. Junjiu Huang von der Sun Ya-Tsen Universität in Guangzhou und seine Kollegen haben eines der gängigen molekularen Werkzeuge, das sogenannte CRISPR/Cas9, erstmals an menschlichen Embryonen eingesetzt. Als Testmaterial dienten ihnen 86 befruchtete Eizellen aus Reproduktionskliniken, die wegen eines Chromosomenfehlers aussortiert worden waren. Weil die Eizellen von zwei Spermien gleichzeitig befruchtet wurden, hatten sie einen Chromosomensatz zu viel. Diese Embryonen sterben zwar irgendwann ab, durchlaufen aber die ersten Stadien der Entwicklung noch ganz normal – was sie für genetische Experimente verwendbar macht. In ihrer Studie nutzten Huang und seine Kollegen das CRISPR/Cas9-System, um das Betaglobin-Gen (HBB) auszuschneiden und zu ersetzen, das Gen, dass bei seiner Mutation die erbliche Blutkrankheit Thalassämie verursacht.

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Wirklich erfolgreich waren die Versuche nicht, wie auch die Forscher selbst einräumen. Von den 86 Embryonen wurde bei nur 28 das Zielgen erfolgreich herausgetrennt. Von diesen wiederum gelang es nur bei vier, das gewünschte Austauschgen an die richtige Stelle einzusetzen. Dafür traten bei vielen anderen Embryonen sogenannte „Off-Target“-Mutationen auf, wie Stichprobenanalysen zeigten. Dabei handelt es sich um Genveränderungen, die das CRSPR/Cas9-System auch an nicht erwünschten Stellen im Erbgut auslöste. „Die editierten Embryonen waren ein Mosaik“, berichten Huang und seine Kollegen. „Unsere Studie unterstreicht damit die Herausforderungen, die eine klinische Anwendung von CRISPR/Cas9 zu bewältigen hätte.“ Dennoch sind sie der Ansicht, dass gerade wegen der noch auftretenden Probleme weiter geforscht werden muss – vor allem mit menschlichen Embryonen. „Diese Forschung wird dringend gebraucht“, so die Forscher. Nur wenn man wisse, was alles falsch laufe, könne man die Risiken und Chance dieser Methode realistisch bewerten.

Lassen sich wissenschaftlicher Fortschritt und Ehrgeiz aufhalten?

Mit dieser Ansicht stehen Huang und seine Kollegen offensichtlich nicht allein da. Wie Nature News berichtet, experimentieren allein in China noch mindestens vier weitere Forschergruppen an Genveränderungen bei menschlichen Embryonen. Aber es gibt auch andere Stimmen, die solche Forschungen für übereilt und ethisch fragwürdig halten. Sie stellen die klassische Frage: Muss alles, was geht, auch um jeden Preis gemacht werden? Lanphier und seine Kollegen beantworten dies klar mit „Nein“ – zumindest vorerst. Sie fordern stattdessen ein freiwilliges Moratorium der Wissenschaftlergemeinschaft und nennen dafür zwei Gründe: Zum einen sei die Methodik noch zu unausgereift, vor allem aber fehle es am öffentlichen Diskurs. Solange die ethischen und wissenschaftlichen Fragen nicht ausreichend geklärt seien, müsse man mit der Forschung pausieren.

Allerdings: Solche Versuche, den wissenschaftlichen Fortschritt aus ethischen Erwägungen aufzuhalten oder zumindest zu bremsen, sind bisher immer gescheitert. Oder um es mit Dürrenmatts „Die Physiker“ zu sagen: Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.

Die Studie:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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