“Today no molecular biologist knows all the important facts about the gene. – Heute kennt kein Molekularbiologe mehr alle wichtigen Fakten über Gene.” Mit diesem klaren Satz beginnt die 1987 erschienene 4. Auflage der “Molecular Biology of The Gene”, deren Erstauflage von 1965 so viel Staunen und Bewunderung ausgelöst hatte. Damals noch keine 40 Jahre alt, fasste James D. Watson auf höchst elegante und wunderbar illustrierte Weise das Wissen zusammen, dass die junge Disziplin der Molekularbiologie seit den Jahren des Zweitens Weltkriegs erworben hatte. So war in den 1940er-Jahren klar geworden, dass Bakterien Gene haben, und es war ermittelt worden, woraus diese Gene chemisch bestehen: aus einer Nukleinsäure namens DNA. Und Watson und sein Kollege Crick fanden heraus, wie sie geformt ist – als Doppelhelix.
Mitte der 1960er-Jahre sah es dann ganz danach aus, dass der neue Forschungszweig der Genetik bereits alles entdeckt hatte, was es zu entdecken gab. 1968 etwa erschien in Science ein Aufsatz von Gunther S. Stent mit dem Titel “That was the Molecular Biology that was”. Er drückte aus, was viele dachten: dass das Geheimnis des Lebens durchschaut und die Abläufe der Vererbung verstanden seien.
Die Helix war erst der Anfang
Doch dann kam zu Beginn der 1970er-Jahre die Gentechnik auf. Mit ihr konnten Wissenschaftler direkt auf das genetische Material zugreifen – und zerstückelten es. Die als Einheit konzipierten Gene lösten sich in Einzelteile auf. Aus dem statischen (festen) Gen wurde ein dynamisches (flexibles) Gen, über dessen Regulation und Wirkungsweise Forscher so viel mehr herausfanden, so dass Watson – wie oben zitiert – in den 1987 einräumen musste, dass er nicht mehr alles über das Gen wisse.
Nachdem das zweibändige und mehr als tausend Seiten umfassende Werk auf dem Markt erschienen war, machten sich seine Leser – die jungen Wilden der Molekularbiologie – längst auf, in andere Gefilde vorzustoßen. Sie begannen, sich statt den Genen dem Genom zuzuwenden und deren DNA-Sequenzen offenzulegen. Damit keimte dann auch die Meinung, dass sich kaum noch ein Molekularbiologe mit Genen auskennt. Und heute? Heute gibt es vielleicht gar keine Gene mehr, über die sich noch irgendjemand auskennen könnte.
Genome statt Gene
“Es scheint heute vernünftiger zu sein, statt über Gene über Genome zu reden”, wie es der britische Wissenschaftsphilosoph Philip Kitcher vor mehreren Jahren konstatierte. Diesen Satz versteht jeder Biologe, der sich daran versucht hat, etwa die Gene eines Menschen zu zählen. Man kann ein Genom vermessen und seine Länge und die Menge seiner Bausteine ermitteln. Aber diese Genome werden als Dateien in toten Computern sichtbar gemacht. Und so schön die Doppelhelix am Bildschirm aussieht – die Gene wirken als Informationsträger in lebendigen Zellen. Im wirklichen (zellulären) Leben sieht alles anders aus. In den Zellen wird das genetische Material umwimmelt von quirligen Molekülen, die alle zum Leben gehören und ihre Rolle spielen, wenn sich seine Eigenschaften zu erkennen geben. Und es scheint auch so zu sein, dass nicht nur ein Genom für das Funktionieren der Zelle sorgt, sondere dass das Funktionieren der Zelle auch umgekehrt dafür sorgt, dass es ein Genom gibt.
Genome sind empfindliche Organe, wie die Nobelpreisträgerin Barbara McClintock in den 1980er-Jahren feststellte, die auf ihre Umgebung eingehen und entsprechend reagieren. Ihre damalige Einsicht bekommt in diesen Tagen neue Aufmerksamkeit, wenn amerikanische Lebenswissenschaftler anfangen, über “Postgenomik” nachdenken. Es geht darum, das Leben zu verstehen, nachdem man die Genome und die Gene kennt. Mal sehen, welches Geheimnis sich an ihrer Stelle zeigt.