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Einem Blutsauger in die Gene geschaut

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Einem Blutsauger in die Gene geschaut
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Eine Bettwanze (Foto: Armed Forces Pest Management Bureau)
Bettwanzen gehören zu den unbeliebtesten und hartnäckigsten Parasiten des Menschen – und sie sind wieder auf dem Vormarsch. Was diese Blutsauger so erfolgreich macht, das verrät jetzt ihr Erbgut. Gleich zwei internationale Forschergruppen haben das Bettwanzen-Genom entschlüsselt und darin überraschende Besonderheiten entdeckt. So haben die Blutsauger erstaunlich viel DNA von Bakterien übernommen und erst ihr erstes Blutmahl setzt eine umfangreiche Aufrüstung in Gang.

Die Gemeine Bettwanze (Cimex lectularius) lebt schon seit Tausenden von Jahren in enger Gemeinschaft mit uns Menschen – zu unserem Leidwesen. Denn die Insekten nutzen uns als ihre Nahrungsressource: Sie trinken nachts, wenn wir schlafen, unser Blut. Unter den stark juckenden Wanzenbissen litten wahrscheinlich sogar schon die Menschen der Steinzeit. „Mit der Ära der beheizten Wohnungen und des Luftverkehrs haben sich die Bettwanzen-Infestationen im späten 19. Jahrhundert dann global verstärkt“, berichtet Jeffrey Rosenfeld vom American Museum of Natural History in New York. Dann allerdings gewann für kurze Zeit der Mensch die Oberhand: Als in den 1940er DDT und später auch andere Insektizide entwickelt und eingesetzt wurden, verschwanden die Bettwanzen fast völlig. Leider jedoch war dieser Erfolg nur vorübergehend. Denn inzwischen sind viele Bettwanzen gegen gängige Insektizide resistent. Und das hat teilweise dramatische Folgen: In nahezu allen größeren Städten breiten sich die Bettwanzen heute wieder aus, in Australien hat der Befall sogar um gewaltige 4500 Prozent zugenommen, wie die Forscher berichten.

Fremde Gene im Bettwanzen-Erbgut

Das rasante Comeback der Bettwanzen hat nun Forscher aus insgesamt 36 Institutionen dazu bewegt, in zwei parallelen Studien das Erbgut dieser Insekten zu analysieren. Ihr Ziel: Anhand der Gene und der Genexpression mehr über die Biologie, die Resistenzen und die Schwachstellen der Blutsauger zu erfahren. Rosenfeld und seine Kollegen sammelten und analysierten für ihre Studie DNA-Proben von knapp 1500 verschiedenen Bettwanzenpopulationen, darunter waren auch Wanzen aus 465 Bahnhöfen der New Yorker U-Bahn. Um die Genexpression in den sechs verschiedenen Lebensstadien der Bettwanzen vergleichen zu können, analysierten die Wissenschaftler zudem die RNA der Insekten in verschiedenem Alter und jeweils vor und nach einer Blutmahlzeit. Joshua Benoit von der University of Cincinnati und seine Kollegen nutzten für ihre DNA-Analyse einen Stamm von Bettwanzen, der seit 1973 im Labor gehalten wird. Er ist daher in den letzten fast 40 Jahren nicht mit Insektiziden in Kontakt gekommen und dient so als pestizid-sensible Referenz.

Die DNA-Analysen erbrachten gleich mehrere Überraschungen. So ist das Erbgut der Bettwanzen mit knapp 700 Millionen Basenpaaren und rund 37.000 proteinkodierenden Genen sogar etwas kleiner als zuvor erwartet, wie die Forscher berichten. Dafür aber stammen 1500 dieser Gene gar nicht von den Bettwanzen selbst, sondern wurden im Laufe der Evolution von Bakterien übernommen. „Normalerweise werden Gene, die von andern Organismen transferiert wurden, gar nicht erst funktionstüchtig oder schaden dem Wirtsorganismus sogar“, erklärt Jack Werren von der Rochester University. Doch bei den Bettwanzen scheint dies nicht der Fall zu sein, stattdessen nutzen sie diese zu ihrem eigenen Vorteil. Denn einige der Fremdgene bei der Bettwanze stammen von der Bakteriengattung Wolbachia, einer symbiontischen Mikrobe, die dem blutsaugenden Insekt bei der Verdauung des menschlichen Bluts hilft.  „Weil diese eingefügten Gene den Bettwanzen ein einzigartiges genetisches Profil verleihen, könnten sie sich als Ansatzpunkte für eine künftige Bekämpfung eignen“, sagt Werren.

Aufrüstung nach der ersten Blutmahlzeit

Wie sehr die Bettwanzen auf unser Blut als Nahrungsmittel ausgerichtet sind, enthüllten weitere Analyseergebnisse. So löst erst die erste Blutmahlzeit bei der Wanze wesentliche Veränderungen der Genexpression aus, wie Rosenfeld und seine Kollegen herausfanden. Erst nach diesem Mahl werden bei der Bettwanze Gene aktiv, die ihr einen dickeren Chitinpanzer verleihen, sie unempfindlicher gegenüber Giftstoffen machen und ihr dabei helfen, Gifte schneller wieder abzubauen. Nach Ansicht der Forscher könnte dies bedeuten, dass die Blutsauger im ersten Nymphenstadium noch am anfälligsten gegenüber Insektiziden sind – auch hier könnte sich daher ein Ansatzpunkt für neue Bekämpfungsstrategien ergeben. Die DNA-Untersuchung bestätigte aber auch, wie vielseitig die Abwehrmethoden der Wanzen gegen Insektizide und andere Giftstoffe sind: Neben ihrem dicken Panzer nutzen sie gleich mehrere giftabbauende Enzyme und speziell angepasste Natriumkanäle in den Zellen, um Gifte schnell wieder zu neutralisieren.

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Interessant auch: Die Bettwanzen sind zumindest innerhalb einer Großstadt wie New York relativ ortstreu. Denn in den verschiedenen Vierteln der Stadt fanden die Forscher jeweils leicht voneinander verschiedenen Bettwanzen-Populationen. Je näher dabei zwei Stadtviertel aneinander lagen, desto ähnlicher waren auch die Wanzen, die in den U-Bahnen, den Bahnhöfen und an der Kleidung oder den Schuhen von Passanten gefunden wurden. „Die Verteilung ihrer genetischen Varianten ist gleichsam ein molekulares Echo der Verbreitung ihrer DNA durch ihre menschlichen Wirte“, konstatieren Rosenfeld und seine Kollegen.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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