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60 Jahre Cholesterin-Krieg

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

60 Jahre Cholesterin-Krieg
Wie schädlich ist ein erhöhter Cholesterin-Spiegel, und wie lässt er sich senken?

Auch in der Wissenschaft gibt es harte Gefechte. Zum Beispiel ums Cholesterin: Nachdem Mediziner in den 1950er-Jahren meinten, einen Zusammenhang zwischen Herzinfarkt und hohem Cholesterinspiegel gefunden zu haben, wurde die Substanz regelrecht ­verteufelt. Der entscheidende Fund: Die Plaques, die den Blutstrom behindern, ­bestehen zum größten Teil aus Cholesterin. Experten warnten vor ­cholesterinreicher Nahrung wie Eiern und Wurst, manche Herzspezialisten rieten sogar allen Ernstes, dass Fastfood-Läden ihren Kunden zum Hamburger gleich eine Cholesterin senkendes Medikament reichen sollten ( bdw 9/2012, „Streit um Cholesterin-Senker“).

Andere Forscher hielten das für Unsinn, denn Cholesterin ist ein wichtiger Bio-Baustoff, ein „Sterol“. Der Körper braucht es für den Aufbau der Zellmembranen und für die Herstellung von Vitamin D, Gallensäure und verschiedenen Hormonen. Auch für die Bildung von Synapsen – und damit für die Hirnleistung – ist es essenziell. ­Inzwischen weiß man: Weil die Substanz lebenswichtig ist, verlässt sich der Körper beim Nachschub nicht auf die Nahrung. Das meiste Cholesterin synthetisiert er selbst. Daneben sorgen etliche körper­eigene Mechanismen dafür, dass Angebot und Nachfrage in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Bei gesunden Menschen sinkt bei cholesterinreicher Kost automatisch die Eigenproduktion.

Rückzug vom Cholesterinverzicht

In Expertenkreisen wird über Cholesterin seit Jahren heftig gestritten. Schon 2007 nannte der amerikanische Mediziner Daniel Steinberg sein Buch „Cholesterin-Kriege“. Jetzt zeichnet sich wenigstens bei der Ernährung ein Konsens ab: Immer mehr Experten bezweifeln, dass man mit einer cholesterinarmen Nahrung einem Herzinfarkt oder Schlaganfall vorbeugen kann. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt zwar noch immer eine maximale Tagesdosis von 300 Milligramm, die man schon mit einem ­einzigen Ei und einem Butterbrot erreicht. Doch das Gesundheits- und Landwirtschafts-Department der US-Regierung hat seine Empfehlung zum Cholesterinverzicht zurückgezogen, da über den Cholesterinspiegel im Blut vor allem die genetische Disposition entscheide.

Auch die Hypothese zum Cholesterinkreislauf steht auf dem Prüfstand. Bisher ging man davon aus, dass Cholesterin als LDL (Low Density Lipoprotein) mit dem Blut an seine Bestimmungsorte strömt, und überschüssiges Cholesterin als HDL (High Density Lipoprotein) zurück zur Leber gelangt, wo es recycelt wird. Entsprechend gilt LDL als „schlechtes“ und HDL als „gutes“ Cholesterin. Doch neue Forschungsergebnisse, die ein internationales Team um den Ärztlichen Direktor des Deutschen Herzzentrums München Heribert Schunkert vorgelegt hat, zeigen, dass Menschen mit hohem HDL-Wert keineswegs vor einem Herzinfarkt gefeit sind. Bei einer entsprechenden genetischen Disposition hilft ­ihnen der körpereigene „Räumdienst“ nichts.

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Milliardengeschäft mit Cholesterin

Menschen, die zu Arteriosklerose neigen oder schon einen Herzinfarkt hinter sich haben, sollten natürlich ihren Cholesterinspiegel im Auge behalten. Unklar ist aber, ab wann es kritisch wird. Die Grenzwerte wurden im Laufe der Jahre immer weiter gesenkt – wodurch immer mehr Menschen auf Medikamente angewiesen sind. Und die Herstellung von Statinen, des bevorzugten Wirkstoffs, ist ein Milliardengeschäft. In Deutschland nehmen rund 4,5 Millionen Menschen Statine, obwohl mit erheblichen Nebenwirkungen zu rechnen ist – von Schlafstörungen und Kopfschmerzen bis zu Impotenz und Depressionen. Erst im letzten Jahr hat ein amerikanisches Ärzteteam um Brian Strom gezeigt, dass bei vielen Menschen auch das Gedächtnis leidet.

Der Cholesterin-Krieg geht weiter. Und die Entscheidung pro oder kontra Medikamente bleibt dem mündigen Bürger überlassen.

 

Der Beitrag ist in bild der wissenschaft 10/2016 erschienen.

   

  
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© wissenschaft.de – Klaus Jacob
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