„Nahrungsmittel X ist ungünstig, denn es lässt den Blutzuckerspiegel stark nach oben schießen“: Seit einiger Zeit richten sich Ernährungsempfehlungen nach dem sogenannten glykämischen Index, der Nahrungsmittel danach einstuft, wie stark sie den Blutzuckerspiegel nach Verzehr verändern. Extreme Schwankungen des Energiegehalts unseres Bluts sind in diesem Zusammenhang mit der Entwicklung von Übergewicht und Stoffwechselstörungen wie Diabetes verknüpft. Die Einschätzungen über den glykämischen Effekt von Nahrungsmitteln beruhen allerdings auf den durchschnittlichen Reaktionen von relativ kleinen Testgruppen, betonen die Forscher um Eran Segal und Eran Elinav of the Weizmann Institute of Science in Israel. Ihre Studie dokumentiert nun, dass entsprechende Verallgemeinerungen bei Ernährungsempfehlungen oft keinen Sinn machen oder sogar schädlich sein können.
An der Studie nahmen insgesamt 800 Personen teil, die einem Durchschnitt der israelischen Bevölkerung entsprachen. Eine Woche lang trugen sie ein kleines Gerät, das alle fünf Minuten ihre Blutzuckerwerte erfasste. Die Probanden dokumentierten in dem Versuchszeitraum über eine spezielle Handy-App akribisch, was und wann sie aßen sowie welchen Tätigkeiten sie nachgingen. Außerdem stellten sie den Wissenschaftlern Stuhlproben zur Verfügung, die zur Untersuchung der Zusammensetzung ihrer Darmbakterien-Gemeinschaften dienten.
Sogar Tomaten können für manche schlecht sein
Die Auswertungen dokumentierten: Wie bestimmte Nahrungsmittel auf Menschen wirken, ist individuell höchst unterschiedlich. „In manchen Fällen sind die Reaktionen bestimmter Personen komplett gegensätzlich, was so bisher noch nicht dokumentiert worden ist“, resümiert Segal. Die individualisierte Untersuchung lieferte viele Überraschungen, berichten die Forscher. Bei einem Beispiel handelte es sich um eine übergewichtige Frau mittleren Alters mit Neigung zu Diabetes, bei der zuvor Ernährungsumstellungen erfolglos geblieben waren. Ihre Studiendaten zeigten: Jedes Mal, wenn sie Tomaten gegessen hatte, schoss ihr Blutzuckerspiegel kritisch nach oben. „Für diese Person, würde eine individuell maßgeschneiderte Ernährung Tomaten natürlich nicht einschließen, dafür aber möglicherweise andere Bestandteile, die für andere wiederum ungünstig wären“, sagt Elinav. „Im Gegensatz zur derzeitigen Praxis könnten personalisierte Ernährungsempfehlungen dazu dienen, über bestimmte Nahrungsmittel den Blutzuckerspiegel zu kontrollieren und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken“.
Veranlagung, Verhalten und Darmflora
Den Forschern zufolge handelt es sich bei den Ursachen der Unterschiede um eine Mischung aus genetischen Veranlagungen, unterschiedlichen Verhaltensweisen und einem weiteren wichtigen Faktor: der Darmflora. Studien haben bereits gezeigt, dass die Zusammensetzung der Mikroben-Gemeinschaften in unserem Verdauungssystem im Zusammenhang mit dem Risiko für die Entwicklung von Übergewicht und Stoffwechselstörungen steht. Im Rahmen der Studie konnten die Forscher nun ebenfalls zeigen, dass bestimmte Merkmale der Darmflora mit einer besonders starken Erhöhung des Blutzuckerspiegels nach Mahlzeiten verknüpft sind. Dieser Spur gingen sie auch konkret nach: Bei 26 zusätzlichen Studienteilnehmern erreichten die Forscher durch personalisierte Ernährungsempfehlungen eine Veränderung der Darmflora, die mit einer günstigen Wirkung auf den Blutzuckerspiegel einherging.
Wie die Studie gezeigt hat, ist die Entwicklung von personalisierten Ernährungsempfehlungen mit dem Konzept der Forscher prinzipiell bereits möglich. Nun arbeiten sie daran, die Verfahren zur Erfassung und Verarbeitung der individuellen Ernährungsreaktionen zu vereinfachen. Ziel ist die Entwicklung von Konzepten, die das System einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.