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Überraschung am Röntgengerät

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Überraschung am Röntgengerät
Nahezu täglich setzen sich Kardiologen beim Legen eines Katheters einer gewissen Dosis Röntgenstrahlung aus. Sie ermöglicht den Chirurgen, den Katheter optimal an dem gewünschten Ort im Körper zu platzieren. Eigentlich gilt diese verstärkte Strahlenbelastung als potenziell krebserregend. Ein italienisches Forscherteam hat jetzt jedoch eine überraschende Entdeckung gemacht: Zumindest zu einem gewissen Maß scheinen die Körperzellen als Reaktion auf eine kontinuierliche, milde Bestrahlung eine Art Immunität zu entwickeln ? sie fahren verschiedene Verteidigungssysteme hoch, um sich vor den Folgen der Strahlung zu schützen.

Bei der Röntgenstrahlung, die ebenso wie Gammastrahlung, kurzwellige UV-Strahlung sowie Alpha- und Betastrahlung zu den ionisierenden Strahlungsarten gehört, galt bisher: Eine zu hohe Dosis kann das Risiko, an Krebs zu erkranken, erhöhen. Das bedeutet für Kardiologen, die bei Eingriffen am Herzen mit Röntgenstrahlung arbeiten, ein erhöhtes Risiko ? vor allem, da das Legen von Kathetern mithilfe der ionisierenden Strahlung in den vergangenen 20 Jahren stetig zugenommen hat. Die Chirurgen befinden sich dabei in nächster Nähe der Strahlungsquelle und sind somit zweimal bis dreimal so viel Strahlung ausgesetzt wie etwa die Radiologen. Das liegt zwar deutlich über der Belastung eines Durchschnittsmenschen, ist aber sehr viel geringer als die Strahlendosis, die der Patient abbekommt.

Ein Forscherteam des Italian National Research Council CNR in Pisa und Avellino hat jetzt in einer kleinen Pilotstudie die Auswirkungen der ständigen Exposition dieser vergleichsweise niedrig dosierten Röntgenstrahlen getestet ? schließlich hatte schon Paracelsus die Hypothese aufgestellt, dass sich geringe Dosen schädlicher oder giftiger Substanzen positiv auf den Organismus auswirken können. Dazu verglichen die Wissenschaftler um Gian Luigi Russo insgesamt zehn Kardiologen, die der Strahlung ausgesetzt waren, mit zehn Arbeitern, die nicht regelmäßig mit Röntgenstrahlung oder anderer ionisierender Strahlung in Berührung kamen.

Von den beiden Versuchsgruppen nahmen die Forscher Blutproben, die sie auf verschiedene Substanzen und Enzyme untersuchten, darunter das Antioxidans Glutathion, das zu den reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) ? oder „freien Radikalen“ ? gehörende Wasserstoffperoxid und Caspase-3, ein Enzym, das eine Schlüsselrolle beim Auslösen des Zellselbstmordes spielt. Glutathion und Wasserstoffperoxid sind praktisch Gegenspieler: Während letzteres die Stärke des oxidativen Stresses einer Zelle repräsentiert und typischerweise beim Kontakt mit ionisierenden Strahlen ansteigt, schützt Glutathion als Antioxidans die Zelle vor den Schäden, die diese aggressiven Teilchen anrichten können.

Das Ergebnis der Analyse: Das Blut der Kardiologen enthielt mehr Wasserstoffperoxid, aber auch mehr Glutathion als das der Vergleichsgruppe. Zudem war vor allem in den Lymphozyten, die als weiße Blutkörperchen zu den Fußtruppen des Immunsystems gehören, die Caspase-3 übermäßig aktiv ? sie neigen also eher dazu, Selbstmord zu begehen. Die Forscher interpretieren das so: Offenbar könne auch ein Strahlungslevel, das offiziell als unschädlich gilt, grundlegende biologische und zelluläre Veränderungen und Anpassungen hervorrufen. Dadurch werde zum einen die Zunahme an ROS, die auf die Strahlenexposition zurückgeht, durch eine Verbesserung der antioxidativen Verteidigungsmechanismen aufgefangen. Zum anderen könne man die erhöhte Anfälligkeit der Lymphozyten für die Apoptose, den Zellselbstmord, ebenfalls als einen ausgleichenden Mechanismus betrachten, der dazu dient, Zellen mit beschädigtem Erbgut effizient zu beseitigen und so deren Entartung zu verhindern.

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Der Kardiologe Thomas Münzel von der Universität Mainz bewertet die Ergebnisse in einem Editorial zur Studie als „sehr interessant“, weist aber auch auf die limitierenden Faktoren der Arbeit hin: Die Studie sei an einer zu geringen Zahl an Versuchspersonen durchgeführt worden, außerdem sei es kompliziert, den Einfluss der Strahlung abzuschätzen, da andere Faktoren wie Rauchen einen weitaus größeren Effekt haben könnten und ebenso wie etwa der Body-Mass-Index nicht berücksichtigt wurden.

Daher schreiben Münzel und sein ebenfalls in Mainz arbeitender Kollege Tommaso Gori: Es sei noch mehr Forschung nötig ? sowohl bei den Grundlagen, um die genaue Beziehung zwischen den schädigenden Effekten der ionisierenden Strahlung und den anregenden Phänomenen zu verstehen, als auch in der Epidemiologie. „Während die Effekte ionisierender Strahlung noch nicht ganz verstanden sind, ist es unsere Verantwortung als Mediziner, alle Vorkehrungen zu treffen, um jede potenzielle Gefahr für unsere Patienten, unsere Mitarbeiter und uns zu minimieren.?

Gian Russo et al.: European Heart Journal, doi:10.1093/eurheartj/ehr263 Editorial: Thomas Münzel, Tommaso Gori (Universität Mainz): European Heart Journal, doi:10.1093/eurheartj/ehr288 wissenschaft.de – Tabea Osthues
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