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Das Lexikon unseres Gehirns

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Das Lexikon unseres Gehirns
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Je nach Wort werden ganz unterschiedliche Areale unsers Gehirns aktiv (GRafik: Nature)
Wenn wir Sprache hören und verarbeiten, reagieren darauf je nach Wortbedeutung ganz unterschiedliche Areale unseres Gehirns. Einen ersten Atlas dieses semantischen Netzwerks haben nun US-Forscher erstellt. Unser Gehirn verarbeitet Sprache keineswegs nur in den bekannten Sprachzentren. Stattdessen aktivieren gehörte Wörter ein über unser ganzes Gehirn verteiltes Netzwerk, wie der erste detaillierte Atlas dieses semantischen Systems zeigt. Der von US-Forschern erstellte Atlas gibt erstmals einen Einblick darin, wo unser Gehirn welche Sprachinhalte verarbeitet. Demnach aktivieren Wörter mit eher sozialer Bedeutung andere Hirnareale als Farbwörter, Ortsangaben oder Zahlen.

Nach gängiger Theorie verarbeitet unser Gehirn Sprache vor allem in zwei speziell darauf ausgelegten Zentren, dem Broca- und dem Wernicke-Areal, die bei den meisten Menschen in der linken Gehirnhälfte liegen. Wollen wir gesprochene Wörter verstehen, ist zudem das Hörzentrum beteiligt, das die Sprachlaute sozusagen vorsortiert und aufbereitet. Soweit die lange Zeit vorherrschende Lehrmeinung. Doch dank der immer feiner werdenden Auflösungen bildgebender Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) haben Neurowissenschaftler inzwischen festgestellt, dass Sprache in unserem Gehirn eine weitaus vernetztere und umfassendere Aktivität auslöst. Demnach sind erheblich mehr miteinander verknüpfte Regionen beteiligt als lange Zeit angenommen. „Diese Regionen, kollektiv als semantisches System bezeichnet, reagieren stärker auf Wörter als auf Nicht-Wörter, stärker auf semantische Aufgaben als auf sinnlose Laute und werden durch natürliche Sprache stärker aktiviert als durch durcheinandergewürfelte Sprachbrocken“, erklären Alexander Huth und seine Kollegen von der University of California in Berkeley. Doch wie die Arbeit innerhalb dieses Netzwerks verteilt ist und wo im Gehirn welche Bedeutungen verarbeitet werden, war bisher nur in kleinen Ausschnitten bekannt.

Huth und seine Kollegen haben nun erstmals dieses semantische Netzwerk in seiner Ganzheit kartiert. Für ihre Studie spielten sie sieben Probanden zwei Stunden lang ein Radioprogramm mit vorgelesenen Geschichten vor. In diesen Geschichten kamen Wörter vor, die aus ganz verschiedenen semantischen Bereichen stammen – einige beschreiben soziale Beziehungen, beispielsweise „Mutter“ oder „Freund“, andere sind orts-oder zeitbezogen, wieder andere beziehen sich auf visuelle Eindrücke wie Farben, auf Zahlen oder auf Emotionen. Während die Teilnehmer diesen Geschichten lauschten, zeichneten die Wissenschaftler ihre Hirnaktivität mit Hilfe eines hochauflösenden funktionellen Magnetresonanz-Tomografen auf. In diesen Aufnahmen lässt sich erkennen, welche Gehirnregion aktiv wird, wenn ein Wort mit einer bestimmten Bedeutung ertönt. Für die Auswertung dieser Aufzeichnungen, ordneten die Forscher gut 10.000 Wörter aus den Radiogeschichten zwölf semantischen Bedeutungsgruppen zu. Mit Hilfe computergestützter Verfahren kartierten sie dann, wann und wo diese zwölf semantischen Kategorien eine Reaktion im Gehirn der Probanden hervorrufen.

Überraschend symmetrisch und ähnlich

Das Ergebnis: Insgesamt sind am semantischen Netzwerk unseres Denkorgans mehr als 130 verschiedene Areale beteiligt. Überraschenderweise verteilen diese sich nahezu gleichmäßig über das gesamte Gehirn – von einer Dominanz der traditionellen Sprachzentren der linken Hirnhälfte keine Spur. „Das ist ein erstaunlicher Aspekt unseres Gehirnatlas“, konstatieren Huth und seine Kollegen. „Diese Symmetrie scheint Studien bei Menschen mit Hirnverletzungen zu widersprechen.“ Nach Ansicht der Forscher könnte es dafür jedoch eine Erklärung geben: Die meisten bisherigen Studien testeten nur die Reaktion auf einzelne Wörter oder allenfalls kurze Phrasen, nicht aber auf Wörter in einem narrativen Kontext. Es könnte daher sein, dass die rechte Hirnhälfte gerade bei der Verarbeitung solcher narrativen Reize aktiver ist als bisher angenommen.

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So reagiert unser Gehirn auf die Bedeutung von Wörtern (Video: Nature)

Und noch etwas enthüllt der neue semantische Atlas unseres Denkorgans: Wo welche Wörter verarbeitet werden, ist trotz kleinerer individueller Unterschiede bei allen Menschen sehr ähnlich. So aktivieren beispielsweise Wörter aus dem sozialen Kontext unter anderem Areale im seitlichen Scheitellappen und im Schläfenlappen, bei eng mit dem Sehen verknüpften Wortbedeutungen reagieren vornehmlich – aber nicht nur – Neuronen in der Nähe der Sehrinde. Interessant auch: Wörter, die je nach Kontext eine ganz unterschiedliche Bedeutung haben können, aktiveren je nach semantischem Zusammenhang auch jeweils andere Areale. So kann das englische Wort „Top“ beispielsweise räumlich gemeint sein, aber auch eine Rangposition oder eine Wertung bedeuten. Im semantischen Atlas taucht dieses Wort daher mehrfach an unterschiedlicher Stelle auf. Worauf diese zwischenmenschlichen Ähnlichkeiten im semantischen Netzwerk des Gehirns beruhen, ist allerdings noch nicht ganz klar, wie die Forscher betonen. „Es könnte sein, dass die Anatomie oder Architektur des Gehirns die Organisation dieses Netzwerks beeinflusst. Möglich wäre aber auch, dass dies auf sehr ähnlichen Lebenserfahrungen unserer Teilnehmer beruht, die alle in der Gesellschaft westlicher Industrieländer aufgewachsen sind“, so Huth und seine Kollegen. Hier seien Studien mit weiteren Probanden nötig, um das zu klären.

Nach Ansicht der Forscher liefert dieser erste semantische Atlas des Gehirns wertvolle neue Einblicke in die Arbeitsweise unseres Gehirns. „Dieser Atlas wird für viele Wissenschaftler nützlich sein, die die neurobiologische Basis der Sprache erforschen“, sagen Huth und seine Kollegen. Zudem zeige er, dass dank moderner datengestützter Verfahren schon ein verhältnismäßig simples Experiment ausreicht – Probanden lauschen Geschichten, um aussagekräftige Daten zu erhalten. „Mit dieser Methode könnten daher künftig auch andere Aspekte der Sprache, wie Laute oder Syntax, kartiert werden“, so die Forscher.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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