Die Geschichte des Kisspeptins begann erst um das Jahr 2000. Studien zeigten, dass Störungen des Kisspeptin-Systems beim Menschen ein Durchlaufen der Pubertät verhindern, indem eine Unterfunktion der Keimdrüsen entsteht. Somit schien klar, dass dem Hormon eine wichtige Grundlagen-Funktion im Rahmen der menschlichen Fortpflanzung zukommt. Es gab darüber hinaus bereits Hinweise, dass Kisspeptin auch eine direkte Wirkung auf Hirnfunktionen hat. Dieser Spur sind die Forscher um Waljit Dhillo vom Imperial College London nun nachgegangen. Konkret wollten sie ergründen, ob das Hormon eine Rolle bei neuronalen Prozessen spielt, die im Zusammenhang mit sexuellen Verhaltensweisen und Empfindungen stehen.
Erotische Abbildungen im Test
Um dieser Frage nachzugehen, verabreichten sie einer Gruppe von männlichen, heterosexuellen Probanden eine künstliche Dosis Kisspeptin, die einen verstärkten Spiegel des Hormons im Blut bewirkte, wie er aber auch unter natürlichen Bedingungen auftreten könnte. Eine Kontrollgruppe von Probanden bekam hingegen nur eine wirkungslose Substanz verabreicht – ein Placebo. Alle Probanden wurden anschließend mit Bildern konfrontiert, während ihre Hirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) erfasst wurde.
Es handelte sich um Abbildungen sexueller Natur sowie Bilder von romantischer Zweisamkeit von Paaren. Als Kontrolle dienten Aufnahmen von Situationen und Gegenständen, die nichts mit zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun hatten. Vor den Versuchen hatten die Forscher zudem die psychischen Charakteristika der Probanden durch Fragebögen erfasst. Im Rahmen der Experimente wurden dann auch Aspekte der aktuellen Gemütsverfassung der Studienteilnehmer aufgezeichnet.
Mehr sexuelle Hirnaktivität
Die Auswertungen zeigten: Diejenigen Probanden, die unter dem Einfluss der Extradosis
Kisspeptin standen, zeigten intensivere neuronale Reaktionen auf die Bilder mit sexuellen Darstellungen als die Männer der Kontrollgruppe. Diese Hirnaktivitäten spielten sich dabei in Hirnregionen des limbischen Systems ab, von denen bereits eine Bedeutung im Rahmen von sexuellen Gefühlen und Verhaltensweisen beim Menschen bekannt sind. Die Bilder, die nur romantischer, aber nicht direkt sexueller Natur waren, riefen diese gesteigerten Reaktionen interessanterweise ebenfalls hervor. Den Forschern zufolge scheint das System deshalb eher generell die Grundlagen von menschlichem Fortpflanzungsverhalten zu beeinflussen und nicht nur die rein sexuellen Funktionen.
In den Auswertungen der psychometrischen Analysen zeichnete sich außerdem ein weiterer interessanter Aspekt der Gabe von Kisspeptin ab: Es schien die Gemütsverfassung der Probanden zu verbessern, berichten die Wissenschaftler. Ihnen zufolge rückt die Substanz damit nun ins Visier der möglichen Anwendung als Therapeutikum. In weiteren Studien sollte nun geklärt werden, ob sich die Wirkung des Kisspeptins auf sexuelle Funktionen und das Gemüt möglicherweise zur Behandlung von Störungen auf diesen Gebieten nutzen lässt.