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Schlaf lässt Synapsen schrumpfen

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Schlaf lässt Synapsen schrumpfen
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3D-Rekonstruktion von Dendriten aus dem Mäusegehirn. Am Ende der feinen Fortsätze sitzen die Synapsen. (Grafik: Wisconsin Center for Sleep and Consciousness)
Schlaf ist nicht nur für unsere körperliche, sondern auch für die geistige Gesundheit wichtig. Doch was genau unser Gehirn während der Nacht tut, ist kaum bekannt. Jetzt haben Forscher erstmals direkt beobachtet, wie sich die Nervenverbindungen im Gehirn beim Schlaf verändern. Dabei zeigte sich: Nahezu alle Synapsen werden während der Nacht kleiner und verlieren einen Teil ihrer Proteine. Diese Schrumpfkur ermöglicht es unserem Denkorgan, jeden Tag wieder Neues zu lernen, wie die Forscher erklären.

Schlaf ist für uns Menschen und nahezu alle Tiere lebenswichtig. Fehlt uns die nächtliche Ruhepause, hat dies Folgen: Auf Dauer kann Schlafmangel Depressionen, Übergewicht und Diabetes fördern. Schon nach kurzem Schlafentzug werden wir zudem reizbar, machen mehr Fehler und können uns schlechter Dinge merken. Gerade bei Kindern kann Schlafmangel das Lernen und Gedächtnis merklich beeinträchtigen, wie Studien zeigen. Einen der möglichen Gründe dafür entdeckten Forscher vor einigen Jahren: Unser Gehirn nutzt die nächtliche Pause, um Abfallstoffe auszuschwemmen. Gleichzeitig werden in dieser Zeit auch unsere Erinnerungen gefestigt: Zu Merkendes wird im Langzeitgedächtnis abgelegt und dadurch entsteht Platz für neue Eindrücke. Schon seit längerem vermuten Neurowissenschaftler, dass die Synapsen, die Verbindungsstellen zwischen den Hirnzellen, dafür eine entscheidende Rolle spielen. An diesen Übergangsstellen werden elektrische Signale durch chemische Botenstoffe an die Nachbarzelle weitergegeben. Beim Prozess des Lernens und der Gedächtnisbildung werden selektiv bestimmte Synapsen verstärkt – viel „Verkehr“ lässt sie sozusagen zu Autobahnen für den Datenverkehr heranwachsen. Welche Rolle aber der Schlaf bei diesem Prozess spielt, blieb bislang unklar.

Nächtliche Rekalibrierung

Jetzt haben gleich zwei Forschergruppen entscheidende Einblicke in unser schlafendes Gehirn gewonnen. Luisa de Vivo von der University of Wisconsin–Madison und ihr Team wollten wissen, ob sich die Synapsen bei ausgeschlafenen und wachgebliebenen Mäusen in Größe und Struktur unterschieden. Dafür analysierten und verglichen sie knapp 7.000 Synapsen aus der Hirnrinde der Tiere mit Hilfe der hochauflösenden seriellen 3D-Raster-Elektronenmikroskopie (SBEM). Die Auswertung ergab: Bei den Mäusen, die ein paar Stunden Schlaf hinter sich hatten, waren die Berührungsflächen der Synapsen im Schnitt um 18 Prozent geschrumpft. Auch das Volumen der napfartig ausgebeulten Synapsenköpfe hatte im Schlaf abgenommen. Durch die Lernprozesse und Erfahrungen während des Tages wuchsen die Nervenkontakte dagegen wieder an. Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte darin eine der entscheidenden Funktionen des Schlafs liegen: Die Nacht gibt dem Gehirn Zeit für ein umfassendes Herunterskalieren der neuronalen Verknüpfungen. Dies wiederum sorgt dafür, dass das Gehirn tagsüber wieder Neues aufnehmen und verarbeiten kann, indem es selektiv bestimmte Synapsen stärkt. Ohne die nächtliche Schrumpfkur müssten die Synapsen entweder ins Unendliche wachsen oder hätten schnell ihre maximale Ausprägung erreicht.

Eine Bestätigung und Vertiefung dieser Ergebnisse liefert die zweite Studie unter Leitung von Graham Diering von der Johns Hopkins University in Baltimore. Die Forscher untersuchten ebenfalls Mäusesynapsen vor und nach dem Schlaf, legten den Schwerpunkt jedoch auf molekulare und strukturelle Veränderungen der Nervenverknüpfungen. Dabei zeigte sich: Die Synapsen verlieren im Schlaf nicht nur an Größe, auch die Menge der für das Andocken der Neurotransmitter zuständigen Rezeptorproteine verringert sich um rund 20 Prozent. Auch dies ist nach Ansicht der Wissenschaftler ein Beleg dafür, dass im Schlaf eine Rekalibrierung des Gehirns stattfindet: Durch das allgemeine Herunterskalieren wird sozusagen wieder „Luft nach oben“ geschaffen. Weitere Analysen der Forscher enthüllten, dass ein bestimmtes Protein, Homer1a, als Auslöser dieser Reskalierung eine wichtige Rolle spielt. Es wird immer dann ausgeschüttet, wenn die Botenstoffe Noradrenalin und Adenosin ein erhöhtes Schlafbedürfnis signalisieren. „Unsere Ergebnisse sind die ersten Belege für das homöostatische Herunterskalieren in einem lebenden Tier“, sagt Koautor Richard Huganir von der Johns Hopkins University. „Sie sprechen dafür, dass die Synapsen im gesamten Mäusegehirn alle zwölf Stunden restrukturiert werden – das ist ziemlich bemerkenswert.“

Diese neuen Einblicke in das nächtliche Gehirn bestätigen erneut, wie wichtig der Schlaf für unser geistiges Wohlergehen ist. „Schlaf ist für unser Gehirn keine wirkliche Pause, denn es muss in dieser Zeit wichtige Arbeit leisten“, erklärt Huganir. „Wenn wir ihm diese Zeit nehmen, wie in unserer modernen Gesellschaft oft der Fall, schaden wir uns selbst.“ Und noch etwas deutet sich an: Schlaf- und Beruhigungsmittel könnten in dieser Hinsicht auch mehr schaden als nützen. Denn zumindest bei einigen dieser Medikamente geht man davon aus, dass sie die homöostatische Rekalibrierung des Gehirns stören oder verhindern können, wie der Forscher erklärt.

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Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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