Für den Menschen ist offenbar das Ausmaß der Hirnoberfläche besonders wichtig: Durch die Rillen und Furchen vergrößert sie sich im Vergleich zu einem glatten Gehirn um ein Vielfaches. Auch viele andere Säugetiere legen ihr Gehirn in Falten. Vermutlich besaß schon das vor rund 200 Millionen Jahren lebende Ur-Säugetier ein faltiges Gehirn. Doch erstaunlicherweise verloren einige Tierarten im Laufe der Evolution diese Strukturierung wieder: Im Vergleich zum menschlichen Gehirn ist das von Mäusen und Ratten glatt wie ein Baby-Popo. Bekannt ist: Im sich entwickelnden Mausgehirn wandern die jungen Nervenzellen langsam und geordnet in den Außenbereich des Gehirns, wo sie sich dann zu einer gleichmäßigen und glatten äußeren Schicht aufreihen.
Was unterscheidet Maus- und Menschenhirn?
Warum die durchaus cleveren Nager auf die Faltung verzichten können, ist unklar: „Der evolutionäre Erfolg dieser und anderer Tierarten mit glatten Gehirnen zeigt, dass ein ungefurchtes Gehirn nicht unbedingt von Nachteil ist und für diese Arten passt“, erklärt Rüdiger Klein vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried. „Wir sind nun der Frage nachgegangen, wie die Hirnfaltung überhaupt zustande kommt.“ Denn der gängige Erklärungsansatz scheint nicht ausreichend plausibel, sagen er und seine Kollegen.
Bisher war man davon ausgegangen, dass es in gefalteten Gehirnen während der Entwicklung zu einer Vermehrung von Vorläuferzellen kommt. Diese produzieren eine Menge von jungen Nervenzellen, die dann zur Hirnrinde wandern. Dort verhindert die starre Schädeldecke, dass sich die Hirnrinde – ähnlich wie ein Luftballon – einfach ausdehnt. Um den Überschuss an Zellen an der Oberfläche unterzubringen, muss sich die Hirnrinde deshalb falten – so die bisherige Erklärung. Studien an Mäusen mit künstlich erhöhter Zellmenge zeigten jedoch, dass dieser Prozess nicht ausreicht, um die Hirnrinde zu falten: Die Tiere hatten zwar eine dickere, ansonsten jedoch glatte Hirnrinde. „Da muss es also noch etwas anderes geben, was die Faltung des Gehirns bei Mäusen verhindert“, so Klein zum Ausgangspunkt der Studie.
„Bügel-Eisen-Moleküle“ sorgen für glatte Mäusehirne
In einer früheren Untersuchung haben die Wissenschaftler bereits Hinweise darauf gefunden, dass bei Mäusen ein Molekül namens FLRT3 wandernde Nervenzellen aneinander haften lässt und so eine geordnete Bewegung unterstützt. „Die Vermutung lag daher nahe, dass FLRTs eine Rolle bei der unterschiedlichen Zellverteilung in gefalteten und glatten Gehirnen spielen können“, so Klein. Um dies zu überprüfen untersuchten die Forscher nun Mäuse, deren Vorläuferzellen weder FLRT3 noch das verwandte FLRT1 besaßen.
Ergebnis: Diese Mäuse entwickelten nun ebenfalls Gehirne, die deutliche Falten aufwiesen, obwohl sich die Zahl der „drängelnden“ Vorläuferzellen nicht verändert hatte. Eine Kombination aus Laboruntersuchungen und Computersimulationen verdeutlichte dann, wie der Effekt entstanden war: Durch das Fehlen der FLRTs hafteten die Vorläuferzellen nicht mehr so stark aneinander. Sie konnten sich dadurch freier bewegen und somit schneller in den äußeren Hirnbereich wandern. So verteilten sie sich nicht mehr so gleichmäßig wie beim natürlichen Mäusegehirn. Die Wissenschaftler vermuten, dass das entstehende Gedränge in der obersten Zellschicht dann die Furchenbildung ausgelöst hat.
„Es ist daher wahrscheinlich, dass das FLRT-System auch die Faltenbildung unseres Gehirns beeinflusst“, vermutet Rüdiger Klein. Dies konnten die Forscher bereits durch die Feststellung untermauern, dass sowohl beim Menschen als auch beim Frettchen – die beide ein gefurchtes Gehirn haben – die FLRT-Mengen deutlich niedriger sind als im glatten Mausgehirn. Die Ergebnisse bilden den Forschern zufolge deshalb nun einen spannenden Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen zur Faltung und Fehlfaltung des Säugetiergehirns einschließlich dem des Menschen.