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Mäuse zu „Falschaussagen“ gezwungen

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Mäuse zu „Falschaussagen“ gezwungen
13-07-25 Erinnerungen.jpg
Beschreibung siehe Text. Credit: Collective Next
Unschuldig verurteilt wegen falscher Aussagen eines Augenzeugen – für solche Justiz-Dramen gibt es viele Beispiele. In manchen Fällen zeigten neue Beweise erst Jahre nach der Verurteilung, dass der angebliche Verbrecher gar nicht am Tatort war. Doch der Augenzeuge muss keineswegs ein Lügner gewesen sein: Es kann durchaus sein, dass er sich bei seinen Aussagen völlig sicher war – aufgrund von falschen Erinnerungen. Nun sind Forscher dem Verständnis dieses Phänomens einen Schritt näher gekommen: Sie konnten es erstmals im Tiermodell simulieren, indem sie Mäusen künstlich falsche Erinnerungen einpflanzten – mit einem raffinierten Verfahren.

Wenn wir ein uns unbekanntes Zimmer betreten, speichert unser Gehirn die Eigenschaften des Raumes ab, damit wir ihn später wiedererkennen können. Spielen sich in diesem Zimmer bestimmte Szenen ab, verknüpft unser Gehirn diese Erinnerungen mit den Erinnerungen an den Raum – wir wissen dann: Das hat sich in diesem Raum abgespielt. Die Erinnerungen basieren auf Veränderungen in bestimmten Nerven und deren Neuverknüpfung untereinander. Dieses Prinzip ist nicht nur dem Menschen vorbehalten – auch das Erinnerungsvermögen der Maus funktioniert auf diese Weise. Diese Gemeinsamkeit nutzten die Forscher um Steve Ramirez vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge als Grundlage ihrer Untersuchungen.

 

Mit gentechnischen Methoden entwickelten sie eine spezielle Maus-Zuchtlinie, deren Nerven eines für Erinnerungen zuständigen Hirnbereichs spektakuläre Eigenschaften besitzen: Wenn sich in ihnen eine Erinnerung verankert, markieren sie sich selbst durch ein spezielles Protein, das die Wissenschaftler detektieren können. Aber nicht nur das: Diese Nerven werden durch den Prozess zusätzlich gegenüber Licht einer bestimmten Wellenlänge sensibilisiert. Auf diese Weise können die Forscher sie durch ins Gehirn eingebrachte Dioden gezielt aktivieren. Mit Hilfe dieser Werkzeuge gelang es Ramirez und seinen Kollegen, den Nagern die falschen Erinnerungen zu verpassen.

 

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Hier hat man mich malträtiert!

 

Zuerst setzten sie jeweils ein Versuchstier in einen speziell gestalteten Raum A (im Bild blau). Über ihr Testsystem konnten sie feststellen, in welchen Nervenzellen die Erinnerung an diesen Raum im Gehirn der Tiere abgespeichert wurde. Dann folgte der nächste Versuchsteil: Die Forscher setzten die gleichen Versuchstiere in einen neuen Raum B (im Bild rot) , der sich klar von Raum A unterschied. Hier traktierten sie die Tiere mit leichten Elektroschocks. Gleichzeitig aktivierten sie aber durch Lichtimpulse die Nervenzellen im Gehirn der Tiere, welche die Erinnerung an Raum A gespeichert hatten. Auf diese Weise erreichten sie eine falsche Verknüpfung der Erinnerungen: Wenn die Mäuse anschließend in Raum A gesetzt wurden, zeigten sie Angst, obwohl ihnen in diesem Raum keine Elektroschocks gegeben worden waren. Sie hatten diesen harmlosen Raum durch die künstliche Aktivierung der Nervenzellen mit dem Schmerz in Raum B verknüpft. Die Mäuse dachten also fälschlicherweise, die gemeine Behandlung sei ihnen in Raum A zugestoßen.

 

Die Forscher sehen in ihren Ergebnissen sowohl einen wichtigen Beitrag für die Hirnforschung als auch für die Beurteilung von Zeugenaussagen bei Gerichtsverhandlungen. „Erinnerung ist nicht eine Kopie der Vergangenheit, sondern eine Rekonstruktion der Welt, die wir erlebt haben“, sagt Ramirez. Bei dieser Rekonstruktion kann es also offenbar zu Fehlverknüpfungen kommen. Co-Autor Susumu Tonegawa, ebenfalls vom MIT, untermalt dies mit einem eindrucksvollen Beispiel: Er berichtet über einen Fall bei dem eine Frau felsenfest davon überzeugt war, ein Fernsehmoderator hätte sie vergewaltigt, der zum Zeitpunkt der Tat live im Fernsehen zu sehen gewesen war. Die falsche Erinnerung war dadurch entstanden, dass sich die Frau im Fernsehen gerade die TV-Show angesehen hatte, als das schreckliche Erlebnis eintrat: Ein Einbrecher überwältigte sie vor dem Fernseher. Im Zuge der traumatischen Ereignisses verknüpfte ihr Gehirn die Vergewaltigung mit dem Fernsehmoderator. „Für die Erforschung solcher Phänomene haben wir nun ein Maus-Model“, resümiert Tonegawa.

 

originalarbeit der Foscher:

© wissenschaft.de – Martin Vieweg
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