Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist sein Gehirn keineswegs ein „unbeschriebenes Blatt“. Stattdessen hat es bereits im Mutterleib Sinneseindrücke und Erfahrungen gesammelt. So gewöhnen sich die Ungeborenen bereits an den Klang der Muttersprache, an bestimmte Melodien und die Stimme der Mutter, wie Studien zeigen. Erkennbar ist dies unter anderem daran, dass schon Neugeborene anders auf die typischen Sprachmelodien ihrer Muttersprache reagieren als auch die abweichenden einer fremden Sprache. „Selbst die noch unartikulierten Schreie eines Neugeborenen nach der Geburt lassen schon die typische Klangmelodie der Muttersprache erkennen“, erklären Eino Partanen von der Universität Helsinki und seine Kollegen. Unklar war jedoch, wie sich dieses vorgeburtliche Lernen im Gehirn der Säuglinge manifestiert – und ob das Kind tatsächlich von diesen Lernerfahrungen profitiert.
Um das zu untersuchen, führten die Forscher ein Experiment mit 43 werdenden Müttern durch. 17 von ihnen erhielten eine CD mit zwei jeweils vier Minuten lange Passagen, in denen eine Stimme das Pseudowort „tatata“ mehrfach wiederholte. Nur ein paar Mal dazwischen eingestreut waren zwei Varianten des Wortes, bei sich entweder der mittlere Vokal änderte – „tatota“ – oder die Tonhöhe des mittleren „a“. Von der 29. Schwangerschaftswoche bis zur Geburt spielten die Schwangeren diese CD einmal täglich ungefähr zur gleichen Tageszeit ab. Die 16 Frauen der Kontrollgruppe spielten diese CD nicht. Kurz nach der Geburt der Kinder erfolgte der eigentliche Test: Die Forscher setzten allen Säuglingen eine EEG-Kappe auf und zeichneten ihre Hirnströme auf. Währenddessen spielten sie ihnen erneut die bereits im Mutterleib gelernten Pseudoworte samt Variationen vor, und zusätzlich zwei weitere Varianten, bei denen Tondauer und Lautstärke des mittleren Vokals verändert waren.
Sensibler für die feinen Unterschiede
„Wenn die Kinder im Mutterleib neuronale Gedächtnisspuren für diese Worte gebildet haben, sollte sich dies nach ihrer Geburt an Veränderungen ihrer Hirnaktivität ablesen lassen“, erklären die Forscher. Und tatsächlich gab es deutliche Unterschiede zwischen den Säuglingen der Lern- und der Kontrollgruppe: Bei den Kindern, die bereits im Mutterleib die Pseudoworte kennengelernt hatten, gab es einen signifikant höheren Ausschlag der Hirnströme, wenn sich Tonhöhe, aber auch wenn sich Dauer oder Lautstärke des Mittelvokals änderten. Ihr Gehirn reagierte demnach sensibler auf kleine Veränderungen in der gehörten Sprache. Bei den Kontrollkinder fehlte dieser Effekt. „Dieses Ergebnis zeigt, dass die neuronale Sprachverarbeitung des Kindes bereits im Mutterleib durch Einflüsse von außen modifiziert wird“, sagen die Forscher.
Das aber hat zwei ganz praktische Auswirkungen, wie Partanen und seine Kollegen erklären: Zum einen ist es offenbar tatsächlich vorteilhaft, wenn Kinder schon vor ihrer Geburt möglichst viel Sprache hören. Denn das scheint ihr Sprachzentrum darauf zu schulen, später besonders gut feine Unterschiede in der Betonung oder dem Klang von Wörtern zu erfassen – und diese Fähigkeiten erleichtern das Sprechenlernen. Zum anderen aber ist das Ungeborene durch diese Empfänglichkeit für Geräusche auch gefährdet: „Ist das Kind im Mutterleib unstrukturiertem Lärm ausgesetzt, beispielsweise am Arbeitsplatz der Mutter, könnte dies der Entwicklung seines zentralen Hörsystems schaden“, warnen die Forscher. Denn dieses bildet dann anormale neuronale Strukturen und Signalwege aus, die später Wahrnehmung und Lernen von Sprache sogar stören.
„Es ist daher angeraten, die akustische Umgebung eines Kindes schon vor seiner Geburt zu verbessern und zu optimieren“, konstatieren die Wissenschaftler. Denn das Ungeborene besitze bereits ähnliche Lern- und Erinnerungskapazitäten wie ein Kind.