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Wie Halluzinationen entstehen

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Wie Halluzinationen entstehen
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Zufälliges Schwarz-Weiß-Muster oder Abbild einer person? Was sehen Sie? (University of Cambridge)
Ob die sprichwörtlichen weißen Mäuse oder bedrohliche Schemen an der Wand: In Halluzinationen sehen wir Dinge, die gar nicht da sind. Weil diese Trugbilder oft bei Menschen mit Schizophrenie oder anderen Psychosen auftreten, gelten sie meist als Zeichen für einen Defekt im Gehirn. Doch das Gegenteil ist der Fall, wie Forscher jetzt herausgefunden haben: Wer Halluzinationen hat, bei dem arbeitet das Gehirn sogar zu gut. Es interpretiert mehr in das Gesehene hinein als drinsteckt.

Um die Welt um uns herum zu verstehen, sind wir auf unsere Sinne angewiesen. Sie übermitteln uns erst die Informationen, die es uns erlauben, mit unserer Umgebung in Kontakt zu treten oder auf Situationen zu reagieren. Aber oft sind die beispielsweise von den Augen eingefangenen Signale unvollständig. So sehen wir beispielsweise in unserer Wohnung einen schwarzen Schatten, der schnell hinter dem Sofa verschwindet. Das allein hilft uns nicht viel weiter. Doch jetzt kommt unser Gehirn zu Hilfe:  Es kombiniert die zweideutige und unklare visuelle Information mit unserem Vorwissen über unsere Umgebung und vergangenen Erfahrungen. Und siehe da: Ohne dass wir diesen Prozess bewusst wahrnehmen, erkenne wir in dem Schatten nun problemlos unsere schwarze Katze. „Erst unser Gehirn lässt die Welt entstehen, die wir sehen“, erklärt Erstautor Christoph Teufel von der Cardiff University. „Es füllt die Lücken und ignoriert die Dinge, die nicht passen. Dadurch präsentiert es uns ein Bild der Welt, das bereits bearbeitet ist und zu dem passt, was wir erwarten.“

An diesem Punkt setzt die Studie von Teufel und seinen Kollegen an. Denn sie vermuteten, dass die „Einmischung“ des Gehirns in unsere Wahrnehmung auch bei Halluzinationen eine entscheidende Rolle spielen könnte. „Ein vorausschauendes Gehirn zu haben ist sehr nützlich – es bedeutet aber auch, dass wir nicht sehr weit davon entfernt sind, Dinge wahrzunehmen, die gar nicht vorhanden sind.“ Um das zu prüfen, zeigten die Forscher  18 Versuchspersonen im Frühstadium einer Psychose und 16 gesunden Menschen  eine Reihe von halbabstrakten, unvollständigen Schwarz-Weiß-Bildern, ähnlich dem oben gezeigten. Die Probanden sollten angeben, auf welchen der Bilder ein Mensch zu erkennen war und auf welchen nicht – eine nahezu unmögliche Aufgabe. Doch die Teilnehmer bekamen Hilfe: Als nächstes zeigten die Forscher ihnen Farbfotos, unter denen auch die Vorlagen für die verfremdeten Schwarz-Weiß-Bilder waren. Die Frage war: Würde das Gehirn der Probanden diese Information nutzen, um später dann die Schwarz-Weiß-Bilder wiederzuerkennen und korrekt zu interpretieren?

Ein zu starkes Einmischen des Gehirns

Tatsächlich verbesserte sich die Trefferquote der Teilnehmer in einem erneuten Durchgang. Dabei gab es jedoch auffällige Unterschiede: Die Probanden, die an einer frühen Psychose litten, schnitten etwa doppelt so gut ab wie die Kontrollpersonen. „Sie können offensichtlich das zuvor erworbene Wissen besser abrufen“, so die Forscher. Ihrer Ansicht sind Halluzinationen daher möglicherweise nur eine Folge eines übersteigerten „Einmischens“ des Gehirns: Es interpretiert so viel in die visuellen oder akustischen Reize hinein, dass wir Dinge oder Personen zu sehen oder zu hören glauben, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind – wir leiden an einer Halluzination. „Das deutet darauf hin, dass diese Symptome und Erfahrungen nicht ein ‚kaputtes‘ Gehirn widerspiegeln, sondern eines, das auf sehr natürliche Weise versucht, sich einen Reim aus den von außen eintreffenden Reizen zu machen““, erklärt Koautor Naresh Subramaniam von der University of Cambridge.

Dass der Übergang vom normalen Interpretieren unserer Sinneswahrnehmungen zu krankhaften Halluzinationen dabei fließend sein kann, machte eine Wiederholung des Experiments mit 40 weiteren gesunden Freiwilligen deutlich. Diese schnitten nach dem Sehen der Farbbilder ebenfalls leicht unterschiedlich ab. Am besten konnten dabei diejenigen die Aufgabe lösen, die in einem vorherigen Test der Psychoseanfälligkeit die höchsten Werte erzielt hatten. „Das zeigt, dass veränderte Wahrnehmungen keineswegs auf Menschen mit psychischen Erkrankungen beschränkt sind“, betont Teufel. „Stattdessen sind sie in milderer Form sogar in der gesamten Bevölkerung ziemlich verbreitet. Viele von uns haben vermutlich schon einmal Dinge gesehen oder gehört, die nicht da sind.“ Nach Ansicht der Forscher bestätigt dies, dass Psychosen nur ein Extrem auf einer fließenden Skala mentaler Zustände sind, zu dem auch die „Normalität“ gehört.

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Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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