Gleiche Gene, gleiche Umwelt – anderes Verhalten
Um das zu klären, nutzten Julia Freund vom DFG-Zentrum für Regenerative Therapien an der TU Dresden und ihre Kollegen tierische Mehrlinge als Modell: Eine Gruppe von 40 Mäusen, die alle die gleiche Erbinformation trugen. Diese Tiere setzten die Forscher in einem großen Käfig mit zahlreichen Erkundungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Damit hatten diese Mäuse nicht nur die gleiche genetische Ausstattung, sie lebten auch in der gleichen Umwelt. Allerdings: „Diese Umgebung war so abwechslungsreich, dass jede Maus ihre eigenen individuellen Erfahrungen machen konnte“, erklärt Studienleiter Gerd Kempermann vom Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in Dresden. In welchem Maße dies geschah, verfolgten die Wissenschaftler mit Hilfe von winzigen RFID-Chips, die sie den einzelnen Mäusen zuvor unter die Haut gepflanzt hatten.
Tatsächlich zeigten sich im Laufe der dreimonatigen Versuchszeit deutliche Unterschiede: Einige Mäuse hielten sich vorwiegend in einem Bereich des Käfigs auf und wanderten nur zwischen Nest und Futterstation hin und her. Andere dagegen waren unternehmungslustiger und erkundeten jede Ecke ihres Lebensraumes. „Im Laufe der Zeit unterschieden sich die Tiere immer stärker in ihrem Verhalten und damit auch in ihren Erfahrungen“, erklärt Kempermann.
Neuronen-Zuwachs als Merkmal sich entwickelnder Persönlichkeit
Um herauszufinden, wie sich das auf die Gehirnentwicklung auswirkt, hatten die Forscher den Mäusen zu Beginn und am Ende der Versuchsphase einen speziellen Marker gespritzt. Dieser machte sichtbar, wie viele neue Gehirnzellen im Hippocampus der Tiere gebildet wurden. Dieses Gehirnzentrum spielt eine wichtige Rolle für das Lernen und Verarbeiten neuer Erfahrungen. Es gehört zudem zu den Hirnarealen, in denen auch im Erwachsenenalter bei Maus und Mensch noch neue Gehirnzellen wachsen. „Wenn dort neue Neuronen entstehen, gibt das dem Hippocampus die nötige Flexibilität, um mit neuen und komplexen Informationen fertig zu werden“, erklären die Forscher.
Wie sie berichten, war zu Beginn des Versuchs das Zellwachstum in diesem Hirnareal noch bei allen Mäusen relativ gleich. Nach Ablauf der drei Monate aber zeigten sich deutliche Unterschiede: Die Tiere, die den Käfig aktiver und ausführlicher erkundet hatten, entwickelten auch mehr neue Neuronen im Hippocampus als ihre passiveren Artgenossen. Dies zeige zum ersten Mal, wie persönliche Erfahrungen dazu beitragen, das Gehirn zu individualisieren, sagen die Forscher: Trotz gleicher Umgebung und gleicher genetischer Ausstattung entwickelten die Mäuse unterschiedliche und sehr persönliche Verhaltensmuster – und damit auch ein unterschiedlich angepasstes und plastisches Gehirn. „Das liefert uns ein Tiermodell auch für die Frage, wie unsere Art, unser Leben zu leben uns zu dem macht, wer wir sind“, konstatieren Freund und ihre Kollegen.