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Ein Nickerchen für Nervenzellen

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Ein Nickerchen für Nervenzellen
Schlafmangel kann kuriose Auswirkungen haben, selbst wenn man die Müdigkeit noch gar nicht spürt: Die Aufmerksamkeit lässt nach, und der Betroffene macht selbst bei einfachen Tätigkeiten Fehler. Ein Team US-amerikanischer Neurologen könnte nun herausgefunden haben, woran das liegt: Schon bevor das gesamte Hirn Anzeichen von Erschöpfung zeigt, beginnen einzelne Nervenzellen offenbar, zwischendurch eine Art Nickerchen zu machen ? sie schalten einfach ab. Damit stehen sie vorübergehend nicht mehr für ihre eigentlichen Aufgaben zur Verfügung, was zu Folge hat, dass die Leistungsfähigkeit leidet, spekulieren die Forscher. Zwar haben sie das Phänomen bisher nur bei Ratten beobachtet, sie glauben jedoch, dass es etwas Ähnliches auch beim Menschen gibt.

Eigentlich hatten Forscher bisher angenommen, dass der Schlaf ein Zustand ist, der das gesamte Gehirn erfasst. Erkennen lässt er sich an einer charakteristischen Veränderung der Hirnströme: Zeichnet man diese bei einem wachen Menschen mit einem EEG auf, zeigen sich sehr flache Kurven, bei denen die einzelnen Signale sehr schnell aufeinander folgen. Ein schlafender Mensch hat hingegen Hirnströme, die regelmäßige große Signale mit einem deutlich größeren Abstand erzeugen. Diese Kurven entstehen, weil die Hirnzellen, die im Wachzustand häufig und ungeordnet feuern, sich beim Schlafen synchronisieren und gemeinsam zwischen einem ein- und einem ausgeschalteten Zustand hin- und herwechseln.

Die Ergebnisse des Teams um den Psychiater und Hirnforscher Giulio Tononi von der University of Wisconsin-Madison lassen nun jedoch Zweifel an diesem Bild des globalen Schlafs aufkommen. Die Wissenschaftler hatten 11 Ratten winzige Elektroden ins Gehirn implantiert, die jeweils die Aktivität einer einzelnen Hirnzelle messen konnten. Damit erfassten sie die Vorgänge im Gehirn während eines normalen Schlaf-Wach-Zyklus und während einer Phase, in der sie die Tiere künstlich vier Stunden länger wach hielten als normal, beispielsweise, indem sie ihnen ständig neues Spielzeug in den Käfig stellten. Zur Überraschung der Forscher schalteten sich in dieser Periode des Schlafentzugs immer wieder einzelne der überwachten Neuronen aus ? zuerst nur hin und wieder, dann jedoch immer häufiger. Das Gesamt-EEG sah dagegen noch unverändert aus und glich dem eines wachen, aktiven Tiers.

Auch den Ratten selbst war zu dieser Zeit noch nichts anzumerken: Sie waren eindeutig wach, hatten die Augen geöffnet und reagierten auf Reize von außerhalb, berichten die Wissenschaftler. Erst als sie den Tieren anspruchsvolle Aufgaben zu lösen gaben, bei denen sie mit Hilfe einer komplexen Bewegungsabfolge ein Zuckerstückchen erlangen konnten, zeigten sich die Folgen der fehlenden Nervenzellen: Je häufiger die Aussetzer auftraten, desto geringer war die Erfolgsquote der Tiere.

Offenbar ermüden einzelne Bereiche im Gehirn bereits, lange bevor sich der Schlafmangel in einer Veränderung des Hirnstrommusters zeigt, interpretieren die Forscher ihre Beobachtungen. Dieser lokale Schlaf, wie sie das Phänomen nennen, sei etwas völlig anderes als der klassische Sekundenschlaf, denn dabei verändere sich für kurze Zeit auch das gesamte EEG. Sie sind überzeugt, dass die Neuronen-Nickerchen vielen der Probleme zugrundeliegen, die exzessiver Schlafmangel erzeugen kann. Auch Schlafstörungen wie Schlafwandeln oder die mit dem Restless-Legs-Syndrom verwandte Periodic Limb Movement Disorder könnten auf eine derartige Ursache zurückgehen.

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Weniger klar sei dagegen die evolutionäre Entstehung des lokalen Schlafs. Es sei denkbar, dass es sich früher einmal um eine nützliche Anpassung gehandelt habe, die es einem Teil der Hirnzellen ermöglichte, sich auszuruhen, während die anderen die Stellung und das Tier wach hielten. Etwas Ähnliches gibt es heute noch bei Tieren, die ständig in Bewegung sind, wie Vögel oder manche Meeressäuger: Bei ihnen schläft immer nur ein Teil des Gehirns, zum Beispiel eine Hirnhälfte, und der andere steuert die Bewegung. Es könne jedoch ebenso gut sein, dass das vorübergehende Abschalten eine unerwünschte Nebenwirkung der Entwicklung eines komplexen Gehirns war, sagen die Wissenschaftler.

Vladyslav Vyazovskiy (University of Wisconsin-Madison) et al: Nature, Bd. 472, S. 443 wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel
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