Für ehrliche Menschen ist Ehrlichkeit nichts, um das sie sich aktiv bemühen müssen. Stehen sie vor der Wahl, sich entweder durch Betrug Vorteile zu erschleichen oder sich ehrlich zu verhalten, kommt es im ihrem Gehirn nicht zu einem Widerstreit der Interessen, haben US-amerikanische Wissenschaftler bei Hirnscans mit 35 Freiwilligen beobachtet. Bei Menschen, die zu kleinen Unehrlichkeiten neigen, beobachteten die Forscher hingegen eine große Aktivität im präfrontalen Cortex, einem wichtigen Kontrollorgan im Gehirn.
Die Wissenschaftler ließen in ihrer Studie die Freiwilligen an einem Test teilnehmen, bei denen sie den Ausgang eines Münzwurfs vorherzusagen hatten. Lagen die Probanden mit ihrer Vorhersage richtig, erhielten sie einen kleinen Geldpreis. Die Freiwilligen hatten jedoch auch die Möglichkeit, zu schummeln und vorzugeben, den Ausgang des Wurfs richtig vorhergesagt zu haben. Während der Experimente überwachten die Forscher die Hirnaktivität der Probanden mittels der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI). Ziel der Untersuchung war, die sogenannte „Will“-Hypothese zu überprüfen, nach der Ehrlichkeit die Fähigkeit ist, der Versuchung zum Schummeln zu widerstehen und die im Gegensatz zur „Grace“-Hypothese steht. Diese geht davon aus, dass bei vielen ehrlichen Menschen überhaupt keine Versuchung zum Schummeln besteht und sie folglich auch gar nicht dagegen ankämpfen müssen.
Die Ergebnisse der Tests waren eindeutig: Bei ehrlichen Menschen gilt die „Grace“-Hypothese, fanden die Forscher heraus. So zeigte sich bei den Probanden, die immer die Wahrheit sagten, keinerlei Hirnaktivität, die auf einen inneren Zwiespalt hinwies oder auf ein aktives Ankämpfen gegen die Versuchung, einen Betrug zu begehen, hindeutete. Anders fielen die Beobachtungen bei den Probanden aus, die in den Tests auch einmal schummelten: Hier beobachten die Forscher eine Hirnaktivität, die auf genau einen solchen Widerstreit schließen ließ. Sowohl wenn die Probanden die Wahrheit sagten, als auch wenn sie betrogen ? stets zeigte sich rege Hirnaktivität im präfrontalen Cortex. Diese Hirnregion gilt als oberstes Kontrollzentrum für die Steuerung von Handlungen. Da das Schummeln in der Regel mit einer solchen Hirnaktivität verbunden war, könnten die Ergebnisse für Wissenschaftler interessant sein, die sich mit Konzepten für Lügendetektoren befassen, erklären die Forscher.
Joshua Greene und Joseph Paxton (Harvard-Universität, Cambridge): PNAS, doi: 10.1073/pnas.0900152106 ddp/wissenschaft.de ? Ulrich Dewald