wissenschaft.de: Professor Meuli, warum macht es mitunter Sinn, Kinder schon vor und nicht erst nach der Geburt zu behandeln?
Martin Meuli: Weil es auf Grund der tierexperimentellen und klinischen Studien inzwischen klar geworden ist, dass gewisse streng selektionierte chirurgisch pränatal operierte Patienten eine deutlich bessere Entwicklung zeigen als erst nach der Geburt versorgte.
Jede OP ist eine Abwägung von erwartbarem Nutzen gegen mögliche Risiken. Für welche Indikationen sind fetalchirurgische Eingriffe derzeit sinnvoll?
Die mit Abstand häufigste Indikation für eine fötale OP ist der Offene Rücken. Die fetalchirurgische Versorgung dieser Patienten kann mit Fug und Recht als ein neuer Behandlungsstandard angesehen werden. Darüber hinaus gibt es in seltenen Fällen auch Tumore, die schon im Mutterleib entfernt werden müssen, um den Tod des Föten abzuwenden. Unter gewissen Umständen ist die fetoskopische Vorgehensweise auch bei Zwerchfellhernien nötig.
In Gießen wird der Offene Rücken minimalinvasiv operiert, in Zürich „offen“, also bei geöffneter Gebärmutter, was Professor Kohl als risikoreicher bezeichnet.
Das ist ein kontrovers diskutiertes und heikles Feld. Tatsache ist, dass die in der MOMS-Studie publizierten Daten bei der offenen Fetalchirurgie die besten wissenschaftlichen Ergebnisse darstellen, die es bislang gibt. Professor Kohl ist der einzige in Europa und den USA, der minimalinvasiv operiert. Meines Wissens gibt es keine überzeugenden publizierten Daten, die zeigen würden, dass die Resultate aus Gießen an die aus der MOMS-Studie heranreichen.
Gibt es zu wenig wissenschaftliche Studien, die Daten über Nutzen und Risiken fetalchirurgischer Verfahren zusammentragen?
Wir in Zürich publizieren alle unsere Daten und neuen Erkenntnisse, sehen uns also nicht in einer Bringschuld. Allerdings ist klar, dass es noch zahlreiche Fragezeichen zu klären und Verbesserungen zu erzielen gilt. Der Fortschritt ist ein langsamer Prozess.
Das Gespräch führte Sascha Karberg.