Die Pocken waren eine der schlimmsten Infektionskrankheiten in der Geschichte der Menschheit: Über die Zeit ihrer Existenz hinweg tötete die Viruserkrankung weltweit Millionen von Menschen und beeinflusste den Lauf der Geschichte. In Europa lösten die Pocken ab dem 18. Jahrhundert die Pest als schlimmste Krankheit ab. Schätzungen zufolge starben hier jedes Jahr etwa 400.000 Menschen an den Pocken. Nur wer Glück hatte, überlebte die Infektion – Mozart, Beethoven und Goethe kamen beispielsweise noch einmal davon. Viele Überlebende waren aber anschließend durch entstellende Narben gekennzeichnet, die von den schweren Hautausschlägen zurückblieben.
Triumph der modernen Medizin
Der Sieg über die Pocken gilt als einer der größten Triumphe der modernen Medizin: Ende der 1970er Jahre wurde die Erkrankung endgültig besiegt. Impfprogramme hatten schließlich zur weltweiten Ausrottung der Pocken geführt, die nur von Mensch zu Mensch übertragen werden können. Dennoch steht die Erkrankung weiterhin im Interesse der Forschung. Es stellt sich die Frage, wie sie entstanden ist und sich entwickelt hat. Bisher wurde vermutet, dass die Entwicklungsgeschichte der Pocken vergleichsweise tiefe Wurzeln hat, denn auch Epidemien und Krankheitsfälle aus dem Altertum wurden diesen Erregern zugeschrieben. Beispielsweise soll schon Pharao Ramses V. an einer Pockenerkrankung verstorben sein.
Um neues Licht in die Entwicklungsgeschichte der Pocken zu bringen, hat ein internationales Forscherteam sich nun auf die Suche nach möglichst alten Spuren des Erregers gemacht. Fündig wurden sie in den teilweise mumifizierten Überresten eines Kindes aus Litauen, das zwischen 1643 und 1665 an den Pocken verstorben war. Es gelang ihnen, dem Gewebe Erbgut des Erregers zu entlocken und schließlich das gesamte Genom des Virus zu rekonstruieren. Wie die Forscher betonen, tragen die menschlichen Überreste keine infektionsfähigen Erreger mehr – von solchen Mumien geht also keine Ansteckungsgefahr aus.
Vergleichsweise junge Plage
Das rekonstruierte Genom des Erregers aus dem 17. Jahrhundert konnten die Forscher dann mit dem Erbgut von Stämmen vergleichen, die noch bis 1977 Menschen infizierten. Anhand sogenannter molekularer Uhren im Genom konnten die Forscher Rückschlüsse ziehen, wie schnell sich das Virus entwickelt hat. In diesen Untersuchungen spiegelte sich wider: Die Entwicklungsgeschichte der Pocken reicht weit weniger weit zurück als bisher gedacht. Der Erreger entstand demnach erst nach 1580. Dieses Ergebnis stellt somit in Frage, welche Krankheiten für ältere historische Fälle verantwortlich gewesen sein könnten.
Nach wie vor unklar bleibt auch die Frage der Herkunft der Erkrankung. Die bislang von Tieren bekannten Formen des Virus können nicht die Urform gewesen sein, sagen die Forscher. “Obwohl die Pocken in der menschlichen Populationen ausgerottet sind, sollten wir bei der Erforschung dieser Erkrankung nicht nachlässig werden, bis wir ihren Ursprung vollständig verstehen”, betont Co-Autorin Ana Duggan.
Fragen bleiben offen
Ein weiteres Ergebnis im Rahmen der Studie war der Nachweis, dass sich die Pocken-Erreger im 19. Jahrhundert in zwei Stämme aufspalten haben. Die Wissenschaftler führen dies auf den Entwicklungsdruck durch die Pocken-Impfungen zurück, die der englische Arzt Edward Jenner im Jahr 1796 eingeführt hat. Dabei handelt es sich den Forschern zufolge um einen interessanten Forschungsansatz: “Dies wirft die Frage auf, auf welche Weise sich Erreger im Angesicht von Impfkampagnen weiterentwickeln”, sagt Duggan. Die Pocken bleiben also offenbar auch weiterhin ein spannendes Forschungsthema.