Viele Patienten berichten von guten Erfahrungen mit komplementären medizinischen Therapien. Zu diesem Kreis zählen so unterschiedliche Angebote wie Homöopathie, Traditionelle Chinesische Medizin und Bachblütentherapie. In einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung sagte rund die Hälfte derjenigen, die sich zuletzt homöopathisch behandeln ließen: „Das hat gut geholfen.“ Entsprechend häufig werden solche Therapien nachgefragt: Der Krebsinformationsdienst berichtet, dass etwa zehn Prozent der Anfragen an ihn in diese Kategorie fallen. Doch nur in wenigen Fällen ließ sich bisher nachweisen, dass die komplementären Therapien auch wirken.
Die Leiterin des Krebsinformationsdienstes, Susanne Weg-Remers, orientiert sich daher nicht an der Wirksamkeit, sondern an der Unbedenklichkeit. Homöopathische Behandlungen und Akupunktur könne man beispielsweise in vielen Fällen empfehlen – als ergänzende Therapie und nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt, sagt sie. Manche Nahrungsergänzungsmittel und Krebsdiäten seien hingegen so riskant, dass man davon abraten müsse.
Die Gräben zwischen Schulmedizinern und Heilpraktikern sind daher groß. Doch immer mehr Ärzte versuchen sich an einem integrativen Ansatz: Sie bieten klassische und komplementäre Therapien aus einer Hand und erforschen zugleich die Wirkungen und Nebenwirkungen. In der März-Ausgabe von bild der wissenschaft kommt Stefan Willich von der Berliner Universitätsmedizin Charité zu Wort, der diese Strategie verfolgt. „Viele Kulturen haben Jahrhunderte Erfahrung mit traditionellen Gesundheitspraktiken. Dieses Wissen sollte man nicht ausblenden“, fordert er. Die Berichte vieler Menschen über Heilerfahrungen hätten ihn neugierig gemacht. Und er betont: „Die erste Priorität hat die Schulmedizin aufgrund ihrer Evidenz. Aber die Komplementärmedizin kann an die zweite Stelle treten oder die konventionellen Verfahren ergänzen.“
Auch untersuchen, wenn man einen Fehlschlag erwartet?
In einer begleitenden Umfrage loben viele Mediziner den Ansatz, mahnen jedoch zur Vorsicht. Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie am Universitätsklinikum Jena, sagt zum Beispiel: „Es gibt nur eine begrenzte Menge Geld und Probanden. Da müssen wir uns genau überlegen, wofür wir unsere Ressourcen einsetzen.“ Studien seien immer eine Belastung für die Patienten, und Patienten mit erwartbar unwirksamen Therapien zu behandeln, sei fragwürdig. Dem stimmt Jürgen Windeler, der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), zu. Die Forschung sei beispielsweise sinnvoll, um die Wirkung von nicht-technischen Anwendungen aus dem Bereich der Physiotherapie zu ermitteln, sagt er. Auch bei der Frage, in welchen Fällen das Stechen mit Akupunkturnadeln hilft, sieht Windeler nach der bereits umfangreichen Forschung noch offene Fragen, denen man nachgehen sollte. Die Homöopathie habe sich hingegen als unwirksam erwiesen, und auch bei der Bachblütentherapie sei kein positives Ergebnis zu erwarten.
Stefan Willich von der Charité hält dem entgegen, dass die Wirkungsweise von Therapien oft erst recht spät aufgeklärt werde. Das gelte auch für Medikamente der Schulmedizin. Eine Theorie der Wirkung zu verlangen, sei daher „keine sinnvolle Voraussetzung für die Genehmigung einer klinischen Studie“. Das sieht auch Stefanie Joos so, die als Institutsdirektorin an der Universitätsklinik Tübingen daran arbeitet, die Studienlage im Bereich der Komplementärmedizin zu verbessern. Die bereits vorhandenen Studien – beispielsweise zur Akupunktur – würden nicht ausreichend wahrgenommen, sagt sie. Allerdings müssten auch negative Ergebnisse, die es durchaus gebe, ernst genommen werden.
Kritik gibt es auch an der Aussagekraft der Studien. Jutta Hübner berichtet von einer Forschungsoffensive zur Komplementärmedizin in den USA, die keine guten Ergebnisse gebracht habe. Ihre Erklärung: „Die Kultur der stringenten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem Thema fehlt in diesem Netzwerk.“ Sie fordert dennoch für die klinische Praxis ein einheitliches Konzept, wie es die Integrative Medizin bietet: Die komplementären Angebote sollten stets im Zusammenhang mit der schulmedizinischen Therapie diskutiert werden. Als Beispiel nennt sie eine harmlos erscheinende Vitamin-C-Infusion, um die Nebenwirkungen einer Chemotherapie zu lindern. Hier gebe es Hinweise aus dem Labor, dass die Infusion auch die Wirkung der Chemotherapie beeinträchtige, sagt Hübner.
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