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Künstliche Gebärmutter für Frühgeborene

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Künstliche Gebärmutter für Frühgeborene
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Ein Lammfötus in der künstlichen Gebärmutter (Grafik: The Children's Hospital of Philadelphia)
Bisher überleben nur wenige extrem frühgeborene Kinder, von ihnen tragen viele zudem bleibende Schäden an Gehirn oder Lungen davon. Jetzt jedoch haben Forscher eine “künstliche Gebärmutter” entwickelt, die die Chancen solcher extremen Frühchen künftig erhöhen könnte. In ersten Tests überlebten Lämmerföten, deren Entwicklungstand einem Menschenkind der 23. Schwangerschaftswochen entsprach, bis zu vier Wochen lang in diesem “Brutbeutel” und entwickelten sich dabei normal.

Frühgeburten sind eine der häufigsten Komplikationen in der Schwangerschaft: Etwa eines von zehn Kindern wird vor der 37. Woche geboren. Welche Folgen dies hat, hängt jedoch stark davon ab, um wie viel zu früh das Kind auf die Welt kommt. Vor der 28. Schwangerschaftswoche sind viele Organe des Fötus noch sehr unreif und können daher ihre Funktion nur eingeschränkt übernehmen. Vor allem die Lunge ist in diesem Alter noch nicht an das Atmen von Luft angepasst, daher müssen extreme Frühgeborene künstlich beatmet werden. Gerade bei sehr unreifen Frühchen kann dies jedoch zu schwerwiegenden Lungenschäden führen. Auch das Risiko für Hirnschäden und bleibende Behinderungen ist umso höher, je jünger und leichter ein Frühchen bei der Geburt ist. Denn so fortgeschritten Brutkästen und medizinische Möglichkeiten auch sind – sie können den Mutterleib nicht ersetzen.

Ob und ab wann es sinnvoll und ethisch vertretbar ist, um das Leben eines solchen Extremen Frühgeborenen mit allen Mitteln zu kämpfen, wird daher auch unter Medizinern intensiv diskutiert. Zwar ist es in Einzelfällen schon gelungen, in der 22. oder 23. Woche geborene Kinder am Leben zu erhalten, die Überlebenschance liegt in diesem Alter aber nur bei 30 bis 50 Prozent. Und selbst wenn es gelingt, diese Kinder zu retten, zahlen sie oft einen hohen Preis: Das Risiko für schwerwiegende bleibende Schäden beträgt 90 Prozent. “Solche Kinder benötigen eine Brücke zwischen dem Mutterleib und der Außenwelt”, erklärt Studienleiter Alan Flake vom Children’s Hospital of Philadelphia. “Wenn wir ein extra-uterines System entwickeln könnten, das das Wachstum und die Organreifung nur ein paar Wochen lang unterstützt, dann könnten wir die Chancen solcher extrem frühgeborenen Babys dramatisch verbessern.” Bisher allerdings waren Versuche, eine künstliche Gebärmutter zu konstruieren, wenig erfolgreich. Lämmerföten überlebten in solchen Systemen nur wenige Tage oder trugen schwere Hirn- und Lungenschäden davon, wie Flake und seine Kollegen berichten.

“Biobag” statt Brutkasten

Um dies zu ändern, haben die Forscher nun ein neues Lebenserhaltungssystem für Föten entwickelt. Sie testeten dieses System an acht Lammföten, deren Entwicklungszustand einem menschlichen Fötus in der 23. bis 24. Schwangerschaftswoche entspricht. Die eher prosaisch “Biobag” getaufte künstliche Gebärmutter besteht aus einem durchsichtigen Kunststoffsack, der Fruchtwasser und den Fötus enthält. Über Verbindungen nach außen wird das Fruchtwasser ständig ausgetauscht und erneuert. Ähnlich wie im Mutterleib kann der Fötus das Fruchtwasser schlucken und auch “einatmen”, wie die Forscher erklären. “Die Lungen des Ungeborenen sind dafür ausgelegt, in Flüssigkeit zu funktionieren und genau diese Umgebung simulieren wir hier”, sagt Flakes Kollege Marcus Davey. “Das Fruchtwasser erlaubt es den Lungen und anderen Organen, sich zu entwickeln und liefert ihnen dafür die Nährstoffe und Wachstumsfaktoren.” Frisches Blut und Sauerstoff erhält der Fötus über die Nabelschnur: Ein externes System entfernt Kohlendioxid aus dem Blut und setzt Sauerstoff zu – ähnlich wie es die Lunge der Mutter normalerweise tun würde. Angetrieben wird diese Blutwäsche jedoch nicht von einer externen Pumpe, wie die Forscher betonen, sondern ausschließlich vom Herz des Fötus selbst. Der Grund dafür: Selbst ein geringer künstlicher Druck könnte das Herz des Ungeborenen überfordern und zu irreversiblen Schäden führen.

Die Beobachtungen ergaben, dass sich die Lämmer-Frühchen in diesem Lebenserhaltungssystem tatsächlich weitgehend normal weiterentwickelten: “Die Tiere öffneten ihre Augen, wurden aktiver, hatten offenbar eine normale Atmung und Schluckbewegungen und bildeten Wolle”, berichten die Forscher. “Allgemein schien es den Tieren gutzugehen und sie zeigten keine Stressymptome.” Das Größenwachstum der Lämmer entsprach in etwa dem von Kontrolltieren, die in ihren Mutterschafen heranwuchsen. Nähere Analysen ergaben, dass auch die Lungenreifung normal fortschritt und es keine Auffälligkeiten bei der Gehirnentwicklung gab. Insgesamt überlebten die Lämmer in dieser künstlichen Gebärmutter bis zu vier Wochen lang, wie die Forscher berichten. Einige konnten danach selbstständig atmen, andere benötigten ähnlich wie menschliche Frühgeborene eine künstliche Unterstützung.

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Auf den Menschen übertragbar?

Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte ihr “Biobag” – nach entsprechenden Anpassungen und weiteren Tests – in Zukunft auch für menschliche Frühgeborene eingesetzt werden. Dafür müsste das System allerdings an die geringere Größe von menschlichen Föten angepasst und weiterentwickelt werden. “Unser System könnte die schwerwiegenden Schäden verhindern, die extrem frühgeborene Kinder bisher erleiden”, sagt Flake. Er hält es für durchaus wahrscheinlich, dass schon in rund zehn Jahren solche fruchtwassergefüllten Systeme die bisherigen Brutkästen und Beatmungsgeräte in solchen Fällen ersetzen werden. Nur verhalten optimistisch sieht dies dagegen Thomas Kohl, Leiter des Deutschen Zentrums für Fetalchirurgie in Gießen: “Prinzipiell lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse auf den Menschen übertragen”, schreibt er in einem Kommentar. Allerdings seien noch Jahre der Weiterentwicklung dafür nötig. “Es wäre unrealistisch, nicht auch das Auftreten schwerer Behinderungen bei überlebenden Kindern und möglicherweise eine hohe Sterblichkeitsrate während dieser Entwicklungsphase zu erwarten.”

Eine weitere Sorge gilt ethischen Belangen dieser Technologie: Könnte der “Biobag” dazu führen, dass künftig immer jüngere Frühgeborene mit allen Mitteln am Leben erhalten werden? Die Forscher betonen dazu: “Unser Ziel ist es nicht, die bisherige Grenze der Lebensfähigkeit weiter zu verschieben. Stattdessen wollen wir die Chancen für die Frühgeborenen verbessern, die ohnehin schon in den neonatologischen Intensivstationen beatmet und versorgt werden”, so Flake und seine Kollegen. Sie sehen in ihrem System eher die Brücke, die extremen Frühchen über die kritische Phase bis zur 28. Woche hilft und das Risiko für Komplikationen und bleibende Schäden senkt.

“Sollte der ‚Biobag’ es eines Tages ermöglichen, extrem früh geborenen Kindern sanfter durch die kritische Phase der Lungenreifung zu helfen, könnte dies ein schwieriges Dilemma in der Neonatalmedizin mildern”, kommentiert Peter Dabrock von der Universität Erlangen-Nürnberg, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Gleichzeitig könne es aber sein, dass die neue Technologie die Grauzone der ethisch schwierigen Entscheidung über das Sterben lassen oder am Leben erhalten nur nach vorne verschieben würde.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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