Wer an Masern erkrankt, bekommt mit viel Glück nur einen Hautausschlag, Fieber und grippeähnliche Symptome. Aber bei immerhin jedem Tausendsten verursacht die Virusinfektion eine schwere Hirnentzündungen mit oft bleibenden Folgen, ebenfalls einer von Tausend stirbt an den Masern. Vor der Krankheit und ihren schwerwiegenden Folgen schützen kann bisher nur eine Impfung. Doch gerade in Deutschland weigern sich viele Eltern, ihren Nachwuchs impfen zu lassen – aus Angst vor Nebenwirkungen. Das aber hat Folgen: Sinkt die Zahl der Geimpften in der Bevölkerung, steigt das Risiko von Masernausbrüchen stark an. Genau dies ist im impfmüden Europa und speziell in Deutschland zu beobachten: „2011 hat es in Europa einen vierfachen Anstieg der Masernfälle gegenüber 2009 gegeben“, berichten Stefanie Krumm von der Georgia State University in Atlanta und ihre Kollegen. Europaweit 30.000 Fälle mehr sprechen ihre Ansicht nach nicht gerade dafür, dass das weltweite Ziel, die Masern auszurotten, in greifbarer Nähe liegt.
Erfolgreicher Test an Frettchen
Krumm und ihre Kollegen haben nun erstmals einen Wirkstoff ausfindig gemacht und getestet, der der Krankheit Einhalt gebieten kann. In Vorversuchen mit verschiedenen Hemmstoffen erwies sich ein Molekül bereits als besonders vielversprechender Kandidat, das einen wichtigen Enzymkomplex der Morbilliviren blockiert. Um die Eigenschaften des ERDRP-0519 getauften Moleküls zu testen, führten die Wissenschaftler Versuche mit Frettchen durch, die sie mit dem engen Verwandten des Masernvirus infizierten, dem Staupe-Erreger. Im Gegensatz zu den Masern ist dieses Virus bei Frettchen zu 100 Prozent tödlich. Für ihren Test verabreichten die Forscher einigen Tieren drei Tage nach Infektion mit den Staupeviren täglich eine Dosis des neuen Wirkstoffs und führten dies zwei Wochen lang fort. Andere Frettchen erhielten schon vor der Infektion eine einmalige Dosis von ERDRP-0519, dann aber keine weitere Behandlung.
Das Ergebnis: Die nicht behandelten Kontrolltiere bekamen wie erwartetet nach einer Woche hohes Fieber und starben nach 12 – 15 Tagen. Die vorbeugende Einmal-Dosis mit ERDRP-0519 schwächte den Krankheitsverlauf immerhin ab und verzögerte ihn. Anders dagegen die Tiere, die das Mittel zwei Wochen lang bekamen: „Bemerkenswerterweise resultierte die Behandlung in dem kompletten Überleben der infizierten Tiere“, berichten die Forscher. Keines der Frettchen entwickelte die typischen Krankheitssymptome. Viren waren in ihrem Körper kaum mehr nachweisbar, dafür hatten sich Antikörper gegen den Erreger stark vermehrt. Selbst nach Ende der Behandlung blieb dadurch eine Schutzwirkung erhalten: Infizierten die Wissenschaftler diese Tiere 35 Tage später erneut mit einer tödlichen Virendosis, blieb diese völlig ohne Folgen. „Die Entwicklung einer so starken antiviralen Immunität in den behandelten Tieren ist besonders ermutigend“, erklärt Seniorautor Richard Plemper von der Georgia State University.
Zweite Waffe im Kampf gegen die Masern
Nach Ansicht der Forscher ist es sehr wahrscheinlich, dass ERDRP-0519 auch beim Menschen funktioniert und sich als effektives Heilmittel gegen Masern erweisen kann. Denn die Ansatzstellen und Wirkmechanismen seien die gleichen. „Dieser Wirkstoff-Kandidat ist im Prinzip geeignet, um bei Tieren und Menschen eingesetzt zu werden“, konstatieren die Wissenschaftler. So könnte man bei einem Masernfall damit die Kontaktpersonen des Patienten behandeln und so Ansteckungen verhindern. Eine prophylaktische Gabe könnte bei einem Ausbruch helfen, Immunlücken zu schließen. Ein großer Vorteil dabei: Das Mittel kann oral verabreicht werden. Erste Versuche deuten zudem darauf hin, dass das Masernvirus in Laufe der Zeit zwar Resistenzen gegen den Wirkstoff ausbilden könnte. Die resistenten Stämme in Frettchentests erwiesen sich aber als deutlich weniger aggressiv und daher ohnehin als ungefährlicher.
Allerdings: Die Forscher betonen ausdrücklich, dass das neue Mittel nicht als Ersatz für eine Impfung gedacht oder geeignet ist. Nach wie vor sei die Immunisierung der beste Schutz gegen die Infektionskrankheit. „Die effektive Unterdrückung der Krankheitssymptome und die Entwicklung einer robusten Immunität durch die Behandlung prädestinieren dieses Molekül aber als eine zweite Waffe im Kampf um die globalen Ausrottung der Masern“, konstatieren Krumm und ihre Kollegen. Bevor das Mittel aber als Masernmedikament zugelassen werden kann, müssen weitere Tierversuche folgen.