Die Forscher um Andrei Seluanov von der University of Rochester in New York sind den molekularen Grundlagen dieser Krebsresistenz schon seit einiger Zeit auf der Spur. Am Anfang der aktuellen Studie stand dabei eine seltsame Feststellung: Wenn die Forscher die Eigenschaften von Zellkulturen der Nacktmulle untersuchten, verklebte stets eine mysteriöse schleimige Substanz ihre Gerätschaften im Labor. Bei Untersuchungen von Zellkulturen anderer Nager oder des Menschen war das nicht der Fall. Wir wollten wissen, um was es sich bei diesem komischen Schleim handelt, berichtet Seluanov.
Die Hyaluronsäure des Nacktmulls die neue Waffe im Kampf gegen Krebs?
Die Analysen zeigten, dass es sich um eine spezielle Form einer Hyaluronsäure handelte – die Forscher nannten sie HMW-HA. Hyaluronsäure ist auch beim Menschen ein wichtiger Bestandteil des Bindegewebes. Es ist auch bereits bekannt, dass dieser Stoff eine Rolle bei der Tumorentstehung spielt. Die Version des Nacktmulls ist in diesem Zusammenhang offenbar speziell, zeigten weitere Untersuchungen der Wissenschaftler: Wenn sie die Substanz aus den Zellkulturen entfernten, bildeten auch die Nacktmull-Zellen Tumore. HMW-HA ist also maßgeblich an der Krebsresistenz der Nager beteiligt, schlussfolgern Seluanov und seine Kollegen.
Die Forscher konnten auch bereits die Erbanlagen für die Produktion des HMW-HA identifizieren und durch Vergleiche feststellen, dass es große Unterscheide zu denen des Menschen und anderer Lebewesen aufweist. Das spiegelt sich auch in den Eigenschaften des HMW-HA wider: Es ist mehr als fünfmal größer als die Hyaluronsäuren von Mäusen oder Menschen. Neben seiner Wirkung gegen Krebs hat es vermutlich auch eine Funktion bei der Lebensweise der Nager, denn die Forscher fanden ungewöhnlich hohe Konzentrationen von HMW-HA in der Haut der Nacktmulle. Vermutlich macht es deren Haut besonders geschmeidig, so dass sie sich besser durch die engen Gänge ihrer unterirdischen Heimat zwängen können.
Die Forscher wollen die Krebs-Schutz-Wirkung von HMW-HA nun im nächsten Schritt an Mäusen testen. Wenn sich diese Studien als erfolgreich erweisen, könnten auch Untersuchungen am Menschen folgen. Es gibt indirekte Hinweise, dass HMW-HA auch für den Menschen gut verträglich sein könnte, sagt Seluanov. Andere Hyaluronsäuren werden nämlich bereits zur Anti-Falten-Therapie eingesetzt und zur Behandlung von Gelenks-Schmerzen bei Arthritis. Die Forscher hoffen nun also auf eine Anwendung von HMW-HA im Rahmen neuer Krebstherapien. Vielleicht wird es eines Tages heißen: Die neuste Waffe gegen Krebs hat die Menschheit einer kleinen nackten Ratte zu verdanken, die durch den Untergrund Ostafrikas wuselt.