Eine Woche bis ins Stammhirn
Um zunächst den Weg der Viren im Körper nachzuverfolgen, infizierten Espinoza und ihre Kollegen Ratten und Mäuse mit RSV, indem sie ihnen eine Virenlösung in die Nasen träufelten. In den Folgetagen wurden den Tieren in regelmäßigem Abstand Blutproben, sowie Proben von verschiedenen Körpergeweben, darunter von Lunge, Nase und Gehirn entnommen und auf Viren-RNA und Virenproteine hin untersucht. Das Ergebnis: 24 Stunden nach Infektion hatten die Viren den Riechkolben erreicht, am dritten Tag fanden die Forscher Virenspuren bereits in mehreren Bereichen des Gehirns. Nach einer Woche ließ sich der Erreger auch im Stammhirn nachweisen. „Das ist ein wichtiger Fund, denn die schnelle Infektion des Stammhirns könnte erklären, warum bei einigen an RSV-erkrankten Kindern Atemstillstände auftreten“, erklären die Forscher.
Wie sich zeigte, gelangen die Viren aber nicht nur über die Riechnerven, sondern auch über einen zweiten Weg ins Gehirn: Sie nutzen Zellen des Immunsystems als Trojanisches Pferd. Huckepack auf diesen Zellen reisend, können sie ungehindert die Blut-Hirn-Schranke passieren. Verabreichten die Forscher den infizierten Tieren einen Antikörper, der die Immunzellen lahmlegte, sank auch die Virenlast im Gehirn deutlich ab, wie sie berichten.
Klare Lerndefizite bei Ratten und Mäusen
Wie aber wirkt sich der Befall des Gehirns mit RSV aus? Um das herauszufinden, ließen Espinoza und ihre Kollegen die Ratten und Mäuse einen Monat nach ihrer Infektion in zwei verschiedenen Verhaltens- und Lerntests gegen nicht infizierte Artgenossen antreten. Im ersten platzierten die Forscher mehrere Murmeln auf der Käfigstreu und stoppten die Zeit, die die Tiere benötigten, bis sie alle Murmeln eingegraben hatten – was ihrem natürlichen Verhalten entspricht. Die infizierten Nager schnitten dabei deutlich schlechter ab als gesunde Kontrolltiere, wie die Wissenschaftler berichten.
In einem zweiten Versuch mussten infizierte und nicht-infizierte Ratten eine unter Wasser verborgene Plattform finden und sich deren Position merken. Auch hierbei zeigten sich deutliche Unterschiede: RSV-infizierte Ratten benötigen deutlich länger, bis sie gelernt hatten, wo sich die versteckte Plattform befindet. Sie paddelten auch nach mehreren Durchgängen länger suchend umher als die Kontrolltiere. Eine weitere Analyse ergab zudem, dass das Virus Funktionen der Synapsen in einem für das Lernen wichtigen Hirnareal behindert – dem Hippocampus.
Impfstoff dringend gesucht
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Virus langanhaltende Störungen sowohl instinktiver Handlungen als auch der Lernfähigkeit verursacht“, konstatieren die Forscher. Zwar haben sie ihre Funde nur bei Ratten und Mäusen gemacht. Ihrer Ansicht nach sprechen diese aber dennoch dafür, möglichst schnell nach einem Impfstoff zu suchen, der Kinder vor solchen Spätfolgen schützen kann.
Einen Kandidaten dafür haben Espinoza und ihre Kollegen bereits an ihren Versuchsmäusen getestet. Dabei handelt es sich um eine genetisch modifizierte Variante des Tuberkulose-Impfstoffs BCG, die Proteine des RS-Virus enthält. Impften die Wissenschaftler ihre Mäuse vor der RSV-Infektion mit dieser Vakzine, wiesen diese deutlich geringere Virenmengen in Lunge und Gehirn auf. Sie schnitten zudem in den Lern- und Verhaltenstests genauso gut ab wie gesunde Kontrollmäuse. Das zeige, dass eine Immunisierung mit diesem Impfstoff sowohl vor der Erkrankung schützt als auch vor den virenbedingten Spätfolgen im Gehirn, konstatieren die Forscher.