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Zwänge unter Strom

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Zwänge unter Strom
Menschen mit starken Zwangsstörungen können von einem Hirnschrittmacher profitieren. Das zeigen die Daten aus mittlerweile über acht Jahren, in denen die sogenannte Tiefenhirnstimulation bei Zwangspatienten angewendet wird. Bei dieser Methode implantieren Ärzte zwei Elektroden in das Gehirn, die bestimmte Hirnbereiche elektrisch reizen sollen. Ziel der Therapie ist es, einen aus dem Tritt geratenen Regelkreislauf im Gehirn zu normalisieren und damit die kognitiven, emotionalen und motorischen Prozesse zu stabilisieren. Allerdings ist der Schrittmacher kein Heilmittel, betonte Benjamin Greenberg von der Brown University in Providence, der den aktuellen Stand der Forschung auf dem Jahrestreffen der American Association for the Advancement of Science (AAAS) vorstellte: Die Zwänge verschwinden nicht, sondern werden lediglich soweit gedämpft, dass die Betroffenen ihren Alltag wieder meistern könnten. Was genau die Stimulation im Gehirn verändert, wisse man zudem aktuell noch nicht, berichtete Greenberg.

Seit etwa zehn Jahren setzen Ärzte die Tiefenhirnstimulation als eine Behandlungsmethode bei Parkinson und schweren Formen von psychischen Störungen wie Depressionen und eben auch Zwangsstörungen ein. In allen drei Fällen, so Greenberg, lägen der jeweiligen Krankheit Störungen in Regelkreisläufen des Gehirns zugrunde. Vor allem die sogenannte Basalganglien-Cortex-Schleife gerate aus dem Tritt. Diese Schleife schlägt vom Cortex – der Großhirnrinde – ausgehend einen Bogen über die Basalganglien und den Thalamus, der die sensorischen Reize im Gehirn aufnimmt, und kehrt dann wieder zum Cortex zurück. Die Erkrankungen seien also eigentlich nichts anderes als Netzwerkstörungen in Regelschleifen, die sowohl motorische als auch kognitive und emotionale Vorgänge steuern.

Wird nun durch elektrische Reize auf die Basalganglien eingewirkt, werden der Theorie zufolge dadurch auch andere Hirnregionen beeinflusst. Genau dieses Prinzip nutzt auch die Tiefenhirnstimulation, erläuterte Greenberg. Allerdings: „Diese Technik ist vielversprechend, aber auch mit Vorsicht zu genießen“, gab er zu bedenken. Denn auch wenn sie die Leiden einiger Patienten lindere, blieben dennoch oft Nebenwirkungen wie übermäßig impulsives Verhalten. Eine Studie, die ein internationales Forscherteam im Jahr 2008 veröffentlichte, habe zudem gezeigt, dass der Hirnschrittmacher nicht allen Betroffenen helfe: Von insgesamt 26 Patienten mit schweren Zwangsstörungen profitierten 19 von der Behandlung. Bei ihnen sei die Stärke der Symptome um mindestens 25 Prozent zurückgegangen, sagte Greenberg. Die mittlerweile vorliegenden Folgedaten, bei denen einige der Probanden bis zu acht Jahre lang begleitet wurden, hätten diese Ergebnisse bestätigt, so der Forscher.

Wunder sollte man sich also nicht erhoffen: „Die Tiefenhirnstimulation macht aus schwerstkranken Patienten lediglich durchschnittliche Patienten“, sagte Greenberg. Daher müsse von Fall zu Fall genau abgewogen werden, ob diese Behandlungsmethode angewendet werden sollte oder nicht. Infrage kommt ohnehin nicht jeder Betroffene: Obwohl Schätzungen zufolge etwa ein Prozent der Bevölkerung unter Zwangsstörungen leidet, werde die Tiefenhirnstimulation nur denjenigen empfohlen, die unter extrem starken Zwängen leiden und selbst nach fünf Jahren konventioneller Therapie mit Medikamenten und Psychotherapie keine Linderung erfahren.

Benjamin Greenberg (Brown University, Providence): Beitrag auf dem Jahrestreffen der American Association for the Advancement of Science (AAAS) dapd/wissenschaft. de – Peggy Freede
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